Dollar am Morgen Märkte

Immer noch keine Ernüchterung

am
6. September 2019

EUR USD (1,1035)             Wieder einmal scheinen sich die USA und China im Handelskrieg aufeinander zuzubewegen. Zumindest sollen die Gespräche im Oktober wieder aufgenommen werden, wenn man dem jüngsten Telefonat zwischen dem chinesischen Vizepremier Liu He und US-Finanzminister Steven Mnuchin sowie dem US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer, das gestern früh stattfand, Glauben schenken möchte. Immerhin: Der Sprecher des chinesischen Handelsministeriums Gao Feng verkündete im Rahmen einer Pressekonferenz, dass die beiden Delegationen [Chinas und der USA] bei den für Oktober geplanten Verhandlungen wesentliche Fortschritte anstreben würden.

 

Ist es dieses Mal ernst?

Und weil chinesische Beobachter den Begriff „substantial progress“ in offiziellen Statements normalerweise recht selten erwähnt finden, machte sich in den Finanzmärkten einmal mehr die Hoffnung auf einen Durchbruch bei den geplanten Gesprächen breit. Begleitet von Analystenkommentaren, die davon ausgehen, dass die USA ihre für Dezember angekündigten Strafzölle auf China-Importe im Volumen von 175 Mrd. USD aussetzen könnten, sofern China im Gegenzug Agrargüter von den USA abkaufen würde.

Ja, das mit den Sojabohnenkäufen hatten wir in diesem Jahr bereits zweimal. Aber es ist immer wieder erstaunlich, wie euphorisch sich die Finanzmarktteilnehmer gerieren, sobald im US-chinesischen Handelskonflikt nur ein bisschen Gesprächsbereitschaft aufkommt. Aus Erfahrung wissen wir: Ein einziger Tweet von US-Präsident Donald Trump kann all diese gutgemeinten Absichten in Minutenschnelle zum Platzen bringen.

Auf jeden Fall berichtete gestern das Wall Street Journal darüber, dass Ökonomen der US-Notenbank davon ausgehen, dass die Unsicherheit im Handelskonflikt die USA wahrscheinlich bereits jetzt schon bis Anfang 2020 mehr als 1 Prozent des Wirtschaftswachstums kosten werden.

 

Mit etwas mehr als 20 Prozent ins Unterhaus?

Aber auch die Haltung der Akteure bezüglich der Entwicklung in Sachen Brexit ist erstaunlich. Da reicht es, die Katastrophe eines No-Deal-Brexit zumindest kurzfristig abzuwenden, um weitergehende Risiken auszublenden. Natürlich, wenn alles gut geht, kann das entsprechende Gesetz, nachdem es vom House auf Lords an das Unterhaus retourniert worden ist, endgültig verabschiedet werden. Aber bereits am kommenden Montag möchte Premierminister Boris Johnson erneut über vorgezogene Neuwahlen abstimmen lassen. Womöglich mit einem Misstrauensvotum gegen sich selbst? Was aber, wenn die Opposition im britischen Unterhaus den Premierminister einfach im Amt belässt, weil sie schlichtweg keine gemeinsame alternative Brexit-Strategie in petto hat? Ein Premierminister Boris Johnson, der keine Mehrheit hat.

Und wenn es vorgezogene Neuwahlen geben sollte, könnte das Wahlsystem im Vereinigten Königreich für schwer prognostizierbare Ergebnisse sorgen. Denn wer die meisten Stimmen in einem Wahlbezirk auf sich vereinigen kann, wird als Abgeordnete(r) ins Unterhaus einziehen. Und diese Mehrheit kann naturgemäß deutlich unter 50 Prozent der abgegebenen Stimmen liegen. Rein theoretisch (aber wenig wahrscheinlich) wäre etwa bei fünf kandidierenden Parteien in einem Bezirk bereits ein Wahlsieg mit etwas mehr als 20 Prozent der Stimmen möglich.

 

Die EU ist auch noch da

Ganz zu schweigen davon, dass auch die EU einer erneuten Verschiebung des Brexit-Datums zustimmen muss. Tatsächlich sind sich die EU und das Vereinigte Königreich in Sachen Brexit seit einem Jahr nicht näher gekommen. Zumindest vermittelte dies gestern ein Medienbericht, der sich diesbezüglich auf Aussagen von EU-Vertretern stützt. Tatsächlich muss man sich doch darauf einstellen, dass in irgendeiner Weise verhandelt werden muss, sofern man ein Brexit-Abkommen tatsächlich erreichen möchte. Und dafür wird wiederum Zeit benötigt. Eine Zeit der Ungewissheit, die sich auf die britische Wirtschaft negativ auswirken wird. Kurzum: Kurzfristig mag die Katastrophe eines ungeregelten Brexit vermieden worden sein. Die Streckung aller weiteren Probleme auf der Zeitachse mag zwar durch Gewöhnungseffekte für die Marktteilnehmer leichter zu verkraften sein, dürfte aber nicht ohne ökonomisch gravierende Folgen bleiben.

Der Dollar hat gestern durch die angeblich wiedergekehrte Risikofreude der Händler zeitweise an Wert verloren, wodurch der kurzfristige Abwärtstrend des Euro an seiner Oberseite (nunmehr 1,1180) wie befürchtet getestet und fast durchbrochen worden wäre. Aber selbst, wenn dies der Fall gewesen wäre: Der derzeitige Abwärtstrend des Euro (Potential 1,0885/90) ist überdies in einen etwas flacheren, recht schwachen übergeordneten Abwärtstrend mit Obergrenze bei 1,1150 eingebettet. Auf jeden Fall bleibt der derzeitige aufwärtsgerichtete Korrekturmodus gerade noch erhalten und wäre mit Unterlaufen von 1,0985/90 beendet.

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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