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3. März 2011

Häufig, wenn ich zum Thema Behavioral Finance interviewt werde, kommt früher oder später das Gespräch auf Herdenverhalten. Mag sein, dass man gerne über diesen Begriff spricht, weil er so lebhafte und plastische Vorstellungen weckt. Denn unwillkürlich denkt man an eine blökende Schafherde – ein Bild, das gerne verwendet wird, um Irrationalität und Blasenbildung in den Finanzmärkten zu illustrieren. So malt man sich aus, wie in einer solchen Herde plötzlich einer nach dem anderen in eine bestimmte Richtung zu laufen beginnt, ohne sich noch ein eigenes Urteil über die Lage zu bilden. Weshalb für Außenstehende auch leicht der Eindruck entsteht, Herdenverhalten habe etwas Blindes an sich.

Herdenverhalten ist also dumm. Andererseits hat sich unter vielen Analysten die Meinung durchgesetzt, dass es nicht zwangsläufig unvernünftig sein muss, dem Herdentrieb zu folgen. Allerdings nur dann, wenn es einem gelingt, rechtzeitig wieder auszusteigen, bevor die Masse ins Verderben rennt. Das Dumme dabei ist nur, dass sich Herdenverhalten nur schwer messen lässt.

Trotzdem ist es sinnvoll, sich aus psychologischer Sicht mit dem Herdenverhalten etwas näher zu befassen. Denn gerade bei Entscheidungen unter Unsicherheit, wie sie für die Akteure an den Finanzmärkten typisch sind, spielt das so genannte Commitment, die Bindung an die eigene Entscheidung, eine wesentliche Rolle. Jenes steigt nämlich nicht nur, wenn Verluste entstehen, sondern auch wenn man mit seiner Entscheidung von den Normen (seiner Umgebung) abweicht.  Sich einer Norm anzuschließen – und dies muss zunächst gar nicht auf blinde Art und Weise erfolgen – ist für die meisten Menschen, so gesehen, angenehmer. Vor allem, wenn man feststellt, dass diese Normen sowieso den eigenen Wertvorstellungen entsprechen.

Während Normen in der Gesellschaft häufig von der Mehrheit oder von Trends und Moden bestimmt werden, werden sie in den Finanzmärkten durch Meinungen, Analysen und Prognosen bedeutender Experten repräsentiert. Und diesen Normen folgt man vor allen Dingen dann gerne, wenn damit Gewinne für die „Follower“ in Aussicht stehen. Insofern stellt es keine Überraschung dar, wenn Normen das Herdenverhalten von Investoren und Anlegern begünstigen. Zumal das individuelle Kontrollbedürfnis jedes einzelnen Akteurs dafür sorgt, dass man sich in einer Gruppe sicherer fühlt, und das umso mehr, wenn Gleichgesinnte die eigene Entscheidung als richtig bestätigen.

Auf der anderen Seite wird dabei übersehen, dass der Gewinn des Einzelnen im „Erfolgsfall“ mit jedem zusätzlichen Schaf in der Herde geringer ausfallen wird. Was würden Sie tun, wenn ich Ihnen einen Ort verraten würde, an dem ein Klumpen Gold vergraben wäre? Würden Sie sich einfach teure Schürfwerkzeuge beschaffen, ohne vorher Auskünfte über mich einzuholen? Vermutlich nicht. Und schon gibt es mindestens einen Mitwisser. Und wenn der auch noch weitere Quellen heranzieht, die ihm meine Seriosität bestätigen sollen, dauert es nicht lange, bis sich plötzlich eine ganze Gruppe findet, die sich entschlossen Richtung Goldschatz bewegt. Und auf der Reise dorthin lässt man sich von Händlern, die flugs ihre Stände am Wegesrand errichtet haben, Schaufeln und anderes Gerät verkaufen. Am Ende finden womöglich 1000 Leute einen kleinen Goldklumpen, der für den Einzelnen – sofern überhaupt teilbar – viel zu wenig abwirft, um all die Investments für die Schürfung wieder wettzumachen. Sich bei anderen Finanzmarktteilnehmern Bestätigung für eine wichtige Entscheidung zu holen, lässt uns zwar zunächst ruhiger schlafen. Doch wer das Risiko auf viele Schultern verteilt, für den bleibt auch vom Gewinn nur ein kleines Stückchen übrig – reich wird man dabei also nicht.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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