Erzwungene Sorglosigkeit
EUR USD (1,1120) Wenn die erste komplette Handelswoche des neuen Jahres eines gezeigt hat, ist es dies: In der Welt der Finanzmärkte stehen die Aktienmärkte weiterhin im Vordergrund. Und wer dazu neigt, antizyklisch zu denken, also sich gegen die Massebewegung der Akteure zu positionieren, kann mittlerweile den Mut verlieren. Denn zu klar scheinen (ex post) die Kaufargumente für Aktienengagements, und jeder, der sich tatsächlich traute, nicht nur antizyklisch zu denken, sondern während der vergangenen zwölf Monate dann und wann auch antizyklisch zu handeln, ist meist nicht belohnt worden. Im Gegenteil darf man davon ausgehen, dass sich Absicherungen gegen Kurseinbrüche oft, trotz niedriger Optionsprämien, als kostspieliger Irrtum herausgestellt haben. Verständlich, dass man nach den jüngsten Erlebnissen und Wetten auf eine Korrektur an den Aktienmärkten kaum mehr Appetit verspürt, sich abermals abzusichern. Viel fehlt nicht mehr, und den Börsianern wird demnächst das Erlernen von Sorglosigkeit geradezu aufgezwungen.
Am Ende teure Absicherungen
Zumal, wenn die Ausgangslage von den Kommentatoren so beschrieben wird, dass eigentlich nur bullishe Schlüsse gezogen werden können. Ich lasse einmal ganz bewusst die einschlägig bekannten Dauerkritiker beiseite, die immer ein Haar in der Suppe suchen und schon seit Jahren von der drohenden Apokalypse an den Finanzmärkten sprechen, ohne dass diese bislang eingetreten ist.
Die Ereignisse im Nahen Osten haben viele Börsianer fast mit einem Achselzucken weggesteckt. Und nun, da der Iran nach Tagen beharrlicher Leugnung sogar eingeräumt hat, das in der Nähe von Teheran verunglückte ukrainische Flugzeug irrtümlicherweise zum Absturz gebracht zu haben, ist für viele Akteure der Beweis erbracht, dass sowohl die USA als auch der Iran zumindest vordergründig kein Interesse daran haben, die Spannungen zwischen beiden Staaten in einen offenen Krieg eskalieren zu lassen.
Es muss schon viel passieren
Und so war es auch kein Wunder, dass der sogenannte „Phase-eins-Vertrag“ zwischen den USA und China, der möglicherweise am 15. Januar abgeschlossen werden soll, wieder ins Bewusstsein der Marktteilnehmer rückte. Ja, es scheint klar, dass bestehende Strafzölle reduziert werden und China im Gegenzug seine Käufe von US-Gütern, allen voran Agrarprodukte, dramatisch nach oben schrauben wird. Indes: Bis jetzt gibt es keinen amtlichen Text zu diesem Teilabkommen, von dem man auch nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es tatsächlich in der kommenden Woche unterzeichnet wird.
Aber die Zuversicht der Finanzmarktteilnehmer überwiegt. Und etwaige Rücksetzer an den Aktienmärkten, ausgelöst durch die eine oder andere Meldung, dürften zu weiteren Käufen genutzt werden. Und sollten die Dinge sich richtig schlecht entwickeln, gibt es am Ende ja immer noch die US-Notenbank, die mit ihrer asymmetrischen Geldpolitik (vgl. etwa HIER) im Zweifel den Börsianern zu Hilfe eilen kann.
Wenn man nun auch noch in Betracht zieht, dass etwa der breitgestreute S&P 500 Aktienindex (rd. 3.265) nach Angaben von Analysten[1] derzeit weit entfernt von Niveaus notiert , an denen aufgrund der derzeitigen Options-Positionierungen stärkere Abwärtsreaktionen losgetreten werden könnten (3.198), wird man noch einmal zur Sorglosigkeit verleitet. Weil angeblich sehr viel passieren muss, bis die derzeitige Trendsituation an den Aktienmärkten von Marktteilnehmern und Analysten neu beurteilt wird.
Eine deutliche US-Drohung in Richtung Irak
Aber auch hinsichtlich des am Freitag veröffentlichten US-Arbeitsmarktberichts ergab sich ein weiteres Indiz, dass sich die US-Wirtschaft in einem Goldilocks-Szenario – moderates Wachstum gepaart mit niedriger Inflation – befindet. Zwar war der Zuwachs der Stellen im Nicht-Agrarbereich zum Ende der vergangenen Dekade nicht gerade berauschend, aber die Dezember-Zahlen (+145.000 Stellen) sorgten insgesamt dennoch für eine positive Wahrnehmung zum Jahresausklang. Zumal die Revisionen der beiden Vormonate minimal ausfielen. Dass die durchschnittlichen Stundenlöhne mit einem Plus von 2,9 Prozent (ggü. Vorjahr) hinter der Median-Erwartung der Ökonomen zurückblieben und im Dezember außerdem so niedrig wie zuletzt im Juli 2018 ausgefallen waren, sorgte zwar für eine leichte Dollarschwäche. Aber die jüngste Berechnung des viel beachteten Modells der Fed von Atlanta GDPNow berechnete für das Bruttoinlandsprodukt des vierten Quartals zum dritten Mal hintereinander einen Wert von 2,3 Prozent, so dass sich die Abgaben in Grenzen hielten.
Wer in der vergangenen Woche auf einen steigenden Euro setzte, weil die Risikofreude an den Finanzmärkten zurückgekehrt und auch die implizite Wahrscheinlichkeit für mindestens eine Zinssenkung bis zum Jahresende (vgl. CME FedWatch Tool) aufgrund des US-Arbeitsmarktberichts leicht gestiegen war, musste sich bislang in Geduld üben. Zwar ist die Unterseite bei 1,1080 weiterhin gut unterstützt, aber trotz leicht gestiegener Chancen für eine Euro-Erholung bleibt diese in ihrem wahrscheinlichen Ausmaß zunächst doch recht limitiert (1,1175).
Indes: Die Drohung der Amerikaner, über die das Wall Street Journal am Samstag HIER schrieb, wonach der Irak seinen Zugang zu seinem Konto bei der US-Notenbank verlieren könnte, falls die US-Truppen das Land verlassen müssten, hat es in sich. Denn was mag mit auf Dollar lautenden Guthaben anderer Staaten geschehen, die sich nicht entsprechend der Vorstellungen der US-Administration verhalten? Mittel- bis langfristig sind dies keine positiven Auspizien für den US-Dollar (vgl. etwa meine Artikel HIER und HIER).
Hinweis
Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.
[1] Vgl. etwa https://heisenbergreport.com/2020/01/10/nomuras-mcelligott-it-would-take-an-enormous-macro-shock-to-tip-systematic-dominoes/