Dollar am Morgen Märkte

Erstaunlich gelassen

am
24. Oktober 2019

EUR USD (1,1130)             Unter „normalen“ Umständen würde man heute über ganz andere Themen sprechen. Da gibt es zum Beispiel eine EZB-Ratssitzung. Aber da es sich um die letzte Zusammenkunft unter der Ägide von EZB-Präsident Mario Draghi handelt, werden weithin keine neuen geldpolitischen Beschlüsse erwartet. Aber auch über die für heute anstehenden ersten Schätzungen zu den Einkaufsmanagerindices (Markit) des Monats Oktober dies- und jenseits des Atlantiks war gestern von Kommentatoren und Analysten auffallend wenig zu hören. Grund: Das Brexit-Thema beherrscht weiterhin die Schlagzeilen.

So auch gestern, als deutlich wurde, dass der britische Premierminister Boris Johnson zwar noch vor den beiden Dienstag-Abstimmungen zum Brexit mit Neuwahlen gedroht hatte. Und zwar für den Fall, dass sein Austritts-Abkommen und der enge Zeitplan von drei Tagen vom Unterhaus nicht genehmigt würde. Nach den Abstimmungen, von denen Johnson die zweite verloren hatte, hörte man aber vom Premier jedoch zunächst erstaunlich wenig zum Thema Neuwahlen. Aber nun möchte er laut Medienberichten von gestern Nacht dieses Thema wohl doch angehen. Möglicherweise heute noch.

 

Hürden für vorgezogene UK-Neuwahlen

Abgesehen davon, dass die oppositionelle Labour-Partei wahrscheinlich keinen allzu großen Appetit auf Neuwahlen hat und ein Urnengang auch für die konservativen Torys nicht risikolos ist, gibt es ein Problem: Vorgezogene Neuwahlen sind bekanntlich nicht ganz leicht auszulösen. Nach gegenwärtigem Recht müssten zwei Drittel der Abgeordneten im Unterhaus für einen derartigen Schritt stimmen. Oder Boris Johnson müsste ein Misstrauensvotum verlieren. Ein Antrag, der immerhin auch von seiner eigenen Partei eingebracht werden könnte. Aber selbst, wenn Johnson das Misstrauensvotum verlieren sollte, benötigten die Parteichefs mehr Zeit, als mit dem Brexit-Austrittsdatum vom 31. Oktober derzeit zur Verfügung stünde. Nicht zuletzt auch, weil das dem Misstrauensvotum zugrundeliegende Gesetz – der Fixed Term Parliaments Act aus dem Jahre 2011 – noch nicht in der Praxis erprobt wurde: Danach hätten die Parteivorsitzenden alleine 14 Tage Zeit, eine neue Regierung zu bilden, mit dem Ziel, ein Vertrauensvotum mit einfacher Mehrheit zu gewinnen.

 

Eine Menge Selbstvertrauen

Unterdessen wird innerhalb der EU diskutiert, ob man Premierminister Boris Johnson die von ihm beantragte, aber nicht wirklich gewollte Verlängerung des Brexit-Prozesses über den 31. Oktober hinaus gewähren soll. Bis gestern waren sich Kommentatoren und Akteure an den Finanzmärkten darüber weitgehend einig, dass die Chancen für eine Verlängerung recht gut stünden. Allerdings ist hierfür ein einstimmiger Beschluss der 27 verbliebenen EU-Mitglieder notwendig. Indes: Gestern signalisierte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, dass Frankreich eine Verlängerung möglicherweise blockieren würde. Sicherlich geht es dabei nicht um eine Verlegung des Austrittsdatums um 10 bis 14 Tage. Was aber, wenn Macron doch noch ein – von vielen EU-Vertretern für unwahrscheinlich gehaltenes – Veto gegen eine weitergehende Verlängerung, etwa bis zum 31. Januar 2020, einlegen würde?

Zumindest scheinen derzeit die Finanzmarktakteure das Risiko eines No-deal-Brexit weitgehend auszublenden. So handeln die Aktien der Eurozone – gemessen am Euro Stoxx 50 und dem hiesigen DAX – in der Nähe ihrer Jahreshochs. Auch das Sentiment hierzulande bleibt auffallend optimistisch, sofern man etwa der gestrigen Stimmungsumfrage der Börse Frankfurt Glauben schenken möchte. Aber auch an den Devisenmärkten ist gestern kaum Risikoaversion festzustellen gewesen, wenn man etwa die Entwicklung der typischen Fluchtwährungen Schweizerfranken und Yen betrachtet. Der Euro produzierte gestern eine kaum erwähnenswerte Handelsspanne von nicht einmal 40 Stellen. Und so fällt es schwer, noch von einem Aufwärtsimpuls der Gemeinschaftswährung zu sprechen, deren Potenzial zwar pro forma bis 1,1220/25 reicht. Ein Impuls, der aber auf der anderen Seite mit Unterschreiten von 1,1095/00 bereits Makulatur wäre.

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv