Dollar am Morgen Märkte

Draghis kleine Überraschung

am
19. Juni 2019

EUR USD (1,1190)             Eine gute Frage eines Investors am gestrigen Handelstag lautete: „Warum hat Draghi das eigentlich jetzt gemacht?“ Gemeint ist natürlich die gestrige Rede, in der der EZB-Präsident auf einem Treffen von Notenbankern im portugiesischen Sintra die Bereitschaft erklärte, falls dies erforderlich sein sollte, die ohnehin schon expansive Geldpolitik in der Eurozone weiter zu lockern. Die Reaktion der Finanzmärkte war deutlich: Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen fiel auf ein neues historisches Tief (-0,32 Prozent), während die Aktienmärkte dies- und jenseits des Atlantiks jubilierten. Einzig und allein US-Präsident Donald Trump schien etwas angesäuert zu sein und machte seinem Zorn via Twitter Luft. Die Ankündigung Draghis, weitere geldpolitische Stimuli aufzufahren, sei gegenüber den USA unfair. Natürlich ist der Euro gestern in der Folge zurückgefallen, aber doch in sehr überschaubarem Maße. Gut möglich, dass Trump seiner eigenen Notenbank auf die Sprünge helfen möchte, bei ihrer heute endenden Sitzung angemessen zu reagieren.

 

Investoren auf dem falschen Fuß erwischt?

Indes: Selbst die US-Aktienmärkte dürften von der Rede Mario Draghis profitiert haben. Gut möglich, dass internationale Investoren hinsichtlich des US-Aktienmarkts auch noch auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Denn die jüngste Umfrage von BofA Merrill Lynch, die vom 7. bis 13. Juni durchgeführt wurde, brachte zutage, dass die Investoren so bearish wie zuletzt im März 2009 gewesen waren. Gleichzeitig sind die Anlagen in US-Anleihen auf das höchste Niveau seit September 2011 gestiegen! Naturgemäß sind die Renditen von US-Staatsanleihen während der vergangenen Wochen gesunken. Renditen, die letztlich auch die Zinsstrukturkurve beeinflussen. Dort zeigte sich, dass der viel beachtete Renditeabstand zwischen zehnjährigen US-Staatsanleihen und T-Bills mit dreimonatiger Laufzeit bei -17 Basispunkten lag und daher seit Wochen vielerorts als Vorbote einer späteren Rezession gesehen wird.

Was aber nun, wenn sich die Angst der Investoren als falsch erweist? Es gibt nämlich nicht wenige Kommentatoren, die in der jüngsten BofA Merrill Lynch-Umfrage ein sogenanntes antizyklisches Signal („contrarian signal“) sehen. Sollte sich das bewahrheiten, würden in der Folge die Aktienmärkte abermals haussieren und die US-Anleiherenditen wieder steigen. Immerhin hat US-Präsident Donald Trump mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping telefoniert, so dass es so aussieht, als würden die beiden im Rahmen des G-20 Treffens am 28./29. Juni in Japan doch noch ein Treffen planen. Auch wenn niemand weiß, was dabei herauskommen wird: Die Aktienmärkte haben diesen Versuch einer Annäherung honoriert.

 

Längst Fälliges nur nachgeholt

Doch zurück zur Anfangsfrage, zu deren Beantwortung wir zum 6. Juni, dem Termin der vergangenen EZB-Sitzung, gehen müssen (vgl. HIER). Eine Sitzung, von der viele Marktteilnehmer enttäuscht waren, weil sich Mario Draghi nicht taubenhaft genug gerierte. Letztlich scheint der EZB-Präsident mit seiner Ankündigung vielleicht noch gerade rechtzeitig vor der heute endenden Fed-Sitzung etwas nachgeholt zu haben, was die Marktteilnehmer längst erwartet hatten. Ob dafür eine Zinssenkung von 10 Basispunkten im September, wie sie von den Marktteilnehmern derzeit eingepreist wird, ausreicht?

So gesehen ist die gestern gezeigte, nur leichte Schwächetendenz des Euro zum US-Dollar sogar als angemessen zu bewerten. Der Abgabedruck hat jedenfalls nicht dazu ausgereicht, gestern das untere Ende der Konsolidierungszone zwischen 1,1110 und 1,1345 zu testen, geschweige denn – unser präferiertes Szenario reicht danach bis 1,1040/45 – zu durchbrechen. Ganz nebenbei bemerkt: Netto 60 Prozent der Teilnehmer oben genannter Umfrage halten den US-Dollar für überbewertet – das ist ein neuer Rekord.

 

Hinweise

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

 

Wegen des morgigen Fronleichnamstages erscheint die nächste Ausgabe von „Dollar am Morgen“ erst am Freitag, den 21. Juni.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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