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7. Februar 2011

Eigentlich kann ich Dr. No (Name geändert) nicht leiden. Und wenn es einen Ökonomen gibt, dessen Arbeit ich als unzulänglich, inkompetent, wenn nicht gar als etwas schlicht in der Argumentation einschätze, dann ist er es. Trotzdem hat mich mein Mitstreiter unwonted candour mit seinem Blog über Niall Ferguson geradezu dazu animiert, einmal auf Twitter nach Dr. No zu suchen. Nicht, dass ich auf die Idee gekommen wäre, jemals dessen  „Follower “ werden zu wollen. Nein, es war die pure Neugierde die mich antrieb. Vielleicht auch die heimliche Hoffnung in meiner Meinung bestätigt zu werden. Aber ich machte eine Entdeckung, die mich sehr nachdenklich stimmte. Dr. No hatte nicht nur über 10.000 Follower. Er folgte auch anderen Menschen mit Fleiß.

Diese Entdeckung machte mir Dr. No keineswegs sympathischer. Natürlich war er immer noch der gleiche kurzsichtige Ökonom, der vor allen Dingen häufig durch seine schwammigen Aussagen unangenehm aufgefallen war. Trotzdem habe ich leider viele seiner Interviews und Kommentare lesen müssen, weil mich der eine oder andere Händler oder Journalist gelegentlich auf Dr. Nos Elaborate aufmerksam gemacht hatte. Man muss ja schließlich wissen, was die „Konkurrenz“ von sich gegeben hatte. Vieles was Dr. No vorzubringen hatte, fand ich ausgesprochen dumm. Wie konnte er es nur in Twitter auf 10.000 Follower bringen, 10.000, an denen ich mental nicht so einfach vorbeikam?

Aber allein der Umstand, dass Dr. No anscheinend so nett und beliebt war, durfte doch nicht dazu führen, dass ich begann, insgeheim seine ganze Arbeit aufzuwerten. Was für ein Mensch No war, hatte doch vor meinem neugierigen Klick auf Twitter nicht die geringste Rolle bei meinem Urteil über ihn gespielt. Klar, ich könnte mir jetzt sagen, Dr. No sei nur deswegen in der Öffentlichkeit so beliebt, weil er mit seinen schwammigen Äußerungen und Prognosen niemanden vor den Kopf stößt. Denn klare Vorhersagen und eindeutige Analysen interessieren doch nur den, dem sie in den Kram passen – alle anderen verärgern sie.

Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, dass durch die neuen sozialen Netzwerke eine gesellschaftliche Norm entstanden ist, bei der es in erster Linie auf Masse ankommt. Du bist gut, wenn Du viele Follower hast. Und wer etwas auf sich hält, ist mit vielen Freunden auf Facebook oder Xing präsent. Das ganze Ausmaß dieser neuen Bewertungskriterien begann ich zu erahnen, als kürzlich im Foreign Policy Magazin die Liste der Top 100 unter den globalen „Denkern“ präsentiert wurden. Zumal die ersten zehn aus dieser Tabelle – angeführt von Warren Buffett und Bill Gates – eher als Philanthropen oder Macher denn als Denker zu Berühmtheit gelangt sind. Wenn man bis Platz zwölf hinunter gehen muss, um die erste Persönlichkeit zu finden, die für eine genuin geistige Leistung ausgezeichnet wurde, (es handelt sich hierbei immerhin um den berühmten Ökonomen Nouriel Roubini), müssen sich die Werte in unserer Gesellschaft schon gewaltig verschoben haben. Aber wie viele Follower passen schon in einen Elfenbeinturm…

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1 Kommentar
  1. Antworten

    Horst Schmidtke

    7. Februar 2011

    Oberflächlich betrachtet scheint es aktuell tatsächlich eher auf Masse als Klasse bei Followern/“Freunden“ ankommen. Ich persönlich sehe hier eine Entwicklung zur Oberflächlichkeit und Banalität, die in einer Abgrenzung der wirklichen Entscheider und „wichtigen Leute“ enden wird.

    Beim Mobilfunk hat sich vor Jahren das gleiche abgespielt. Früher, vor ca. 12 – 15 Jahren wurden dienstliche Handynutzer bzw. die first mover als Snobs, Angeber und Wichtigtuer belächelt und teilweise ausgegrenzt. Heute schalten eben diese Leute bewusst die Handys temporär ab. Die damals lächelnden sind die nunmehr an der digitalen Fussfessel hängenden, die permanent erreichbar sein wollen, um sich wichtig fühlen zu können. Die first mover haben neue Spielwiesen entdeckt, die Masse grast weiter auf der alten Weide.

    First Mover bei Facebook, Xing etc. nutzen nach meinen Erfahrungen die sozialen Netzwerke nur noch sehr selektiv und eben nicht, wie die breite Masse täglich mehrere Stunden. Welche Banalitäten soll man auch tagfüllend austauschen müssen?

    In Zukunft wird sich gerade die „Elite“ die Freiheit nehmen und leisten können, sich von der Masse abzugrenzen. Wer wichtig ist, muss sich nicht bemühen, erreichbar zu sein. Banalität muss dagegen permanent verfügbar sein…

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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