Gesellschaft Märkte

Die Börse und das Böse II

am
27. Mai 2013

Nachdem ich Anfang März den dreiteiligen Zyklus zu den Todsünden Gier, Maßlosigkeit und Genusssucht begonnen habe, möchte ich nun mit den Sünden Neid und Stolz fortfahren. Neid ist deshalb ein so spannendes Thema, weil es sich dabei um die Todsünde handelt, die aus meiner Sicht den stärksten Bezug zur Behavioral Finance aufweist. Daher habe ich dieses Thema in diversen Blogbeiträgen (zuletzt hier) und ausführlich in meinem jüngsten Beitrag für WGZ cognitrend TVabgehandelt. Stolz spielt indes eine weniger prominente Rolle, tritt aber häufig im Zusammenhang oder als Folge von Neid auf.

Neid wird generell als ein überaus schmerzhaftes Gefühl erlebt, das einen Menschen befällt, wenn er erfährt, dass jemand etwas hat – sei es ein Gegenstand, eine Eigenschaft oder ein bestimmter Status –,  was man selbst für erstrebenswert hält, aber eben nicht besitzt[1]. Neid resultiert aus dem permanenten und universalen Wunsch der Menschen, sich mit anderen zu vergleichen, um den eigenen Status in der Gesellschaft zu ermitteln. Dieser so genannte soziale Vergleich ist eine wichtige Voraussetzung für Neid. Denn man ist nur neidisch auf Menschen, mit denen man sich vergleichen kann, und er ist dort am größten, wo wir uns mit nahezu Gleichgesinnten und Gleichgestellten vergleichen. Also mit unseren Bekannten, Kollegen, Nachbarn, Freunden und Verwandten, die auf diesem Wege zu unseren natürlichen Feinden werden können.

Obwohl die Standardökonomie ganz auf Rationalität und auf das Eigeninteresse im Sinne ökonomischer Nutzenmaximierung abzielt, verzichten tatsächlich viele Menschen auf Gewinne, nur um anderen zu schaden – manchmal sind sie dabei sogar bereit, dafür auch noch eigenes Geld aufzuwenden[2]. Was die klassische Ökonomie verkennt, ist die Tatsache, dass sich Menschen mit anderen vergleichen und sich dabei weniger um ihr eigenes Endvermögen scheren. Es ist schön, eine Million Euro zu besitzen, aber noch schöner und wichtiger ist es für viele, dass der Nachbar diese eine Million Euro nicht auf seinem Bankkonto hat.

 

Neid, Schadenfreude und Stolz

Ein Händler beneidet seinen Kollegen wegen dessen Gewinn an der Börse, den er selbst wie einen eigenen Verlust wahrnimmt. Im gleichen Zuge wird auch verständlich, warum man Schadenfreude als die Schwester des Neids bezeichnen könnte: Schadenfreude entsteht dann, wenn derjenige, mit dem man sich vergleicht, beispielsweise einen Vorsprung einbüßt, also einen Verlust erleidet. In diesem Fall wird umgekehrt der Verlust des anderen wie ein eigener Gewinn erlebt.

An den Finanzmärkten kann dies so weit gehen, dass Händler, die gegenüber Kollegen mit ihrer Performance ins Hintertreffen geraten sind, risikofreudiger werden, weil sie den Gewinn des Mitstreiters wie einen eigenen Verlust empfinden[3]. Das passt auch sehr gut zu den Erkenntnissen der Behavioral Finance, wonach Menschen im Verlustbereich zur Risikofreude neigen, angetrieben von dem leidenschaftlichen Wunsch, mit dem Kollegen endlich wieder gleichzuziehen.

Ein Händler, der indes seinen Mitstreitern gegenüber die Nase vorne hat, würde mit ziemlicher Sicherheit eher zurückhaltend agieren und versuchen, „den Ball möglichst flach zu halten“, um die Gewinne, seinen Vorsprung, nicht mehr hergeben zu müssen. Mit anderen Worten: Er tendiert zur Risikoaversion.

Dabei mag es nicht nur um ökonomische Gewinne gehen, sondern auch um den psychischen Mehrwert, etwa den Stolz, Recht gehabt zu haben und besser und erfolgreicher als andere agiert zu haben. Dieser Stolz ist letztlich auch dafür verantwortlich, dass Gewinne in den Finanzmärkten, also auch am Aktienmarkt, viel zu früh mitgenommen werden. Vielen Menschen geht es gar nicht darum, möglichst viel zu gewinnen, sondern oft zu gewinnen, was gleichbedeutend ist mit möglichst häufig recht gehabt zu haben, so dass sie mehrfach Grund dazu hatten, stolz auf sich zu sein. Das geht mitunter so weit, dass man sich mit kleinen Gewinnen zufrieden gibt, während man Verluste laufen lässt, was, wie sie in meinem zweiten Web-TV-Beitrag sehen können, zu merkwürdigen Anlageergebnissen führen kann.


 

[1] Vgl. Parrott, G. (1991): The Emotional Experience of Envy and Jealousy. In: The Psychology of Jealousy and Envy, edited by Perter Salovey, New York:Guilford Press

 

[2] Zizzo, D. J. & Oswald, A. (2001): Are People Willing to Pay to Reduce Others’ Incomes? Annales d’Economie et de Statistique, No. 63-34, S. 39-65

 

[3] In machen Unternehmen werden zur Motivation der Mitarbeiter regelrechte Rennlisten geführt

 

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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