Boris Johnson erhöht Druck auf EU
EUR USD (1,1130) Es kam, wie von mir befürchtet, und für viele Akteure vermutlich schneller als gedacht: Der harte Brexit ist plötzlich wieder ein Thema. Denn Großbritanniens Premierminister Boris Johnson beharrte gestern auf den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der EU bis spätestens Ende 2020. Zumindest äußerte dies ein Regierungsvertreter gegenüber Reuters, wobei eine Verlängerung dieser Frist, und das ist neu, gesetzlich ausgeschlossen werden soll. Damit haben beide Seiten theoretisch elf Monate Zeit, um eine Einigung zu erzielen, die natürlich auch noch von Großbritannien und der EU – einschließlich der Parlamente ihrer Mitgliedstaaten – abgesegnet werden müsste. Ein Zeitrahmen, der mithin als zu sportlich erscheint.
Britisches Pfund wieder fair bewertet
Wie ich bereits am Montag (HIER) ausführte, erhöht Boris Johnson mit seiner komfortablen Mehrheit im Rücken damit den Druck auf die EU. Dass Johnson es wirklich ernst meint, unterstrich ein Regierungsvertreter, als er gegenüber Bloomberg äußerte, dass weder der Premierminister noch einer seiner Minister das Weltwirtschaftsforum in Davos im kommenden Jahr besuchen würden. Vermutlich, weil die Vorbereitung des Brexit alle Kräfte gebündelt in Anspruch nimmt.
Das britische Pfund jedenfalls reagierte ausgesprochen heftig und machte gegenüber dem Euro alle Kursgewinne zunichte, die seit den ersten Hochrechnungen zur Wahl in Großbritannien in der Nacht vom vergangenen Donnerstag auf Freitag entstanden waren. Das war in der Spitze immerhin ein Gewinn von 2,8 Prozent, der sich innerhalb von 48 Stunden in Luft auflöste. Gleichzeitig zeigt unser auf Erkenntnissen der Behavioral Finance beruhendes Modell, mit dem das Verhalten mittelfristig agierender Akteure abgebildet wird, dass das britische Pfund gegenüber dem Euro nun zumindest wieder fair bewertet ist. Oder anders ausgedrückt: Die (übertriebene) Hoffnung auf einen geregelten Brexit ist weitgehend ausgepreist.
Goldilocks-Szenario für die Weltwirtschaft erwartet
Auch die hiesigen Aktienmärkte mussten einen Rücksetzer hinnehmen. Allerdings hielt dieser sich im Rahmen einer überschaubaren Korrektur, die sich vermutlich ohnehin durch Gewinnmitnahmen eingestellt hätte. Allerdings förderte die jüngste BofA Merrill Lynch-Umfrage unter internationalen Fondsmanagern zutage, dass sich von diesen Vermögensverwaltern netto 31 Prozent (das bedeutet einen Anstieg von 10 Prozentpunkten gegenüber dem Vormonat) für eine Übergewichtung in globalen Aktien entschieden haben. Gleichzeitig ist die Kassehaltung auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2013 geblieben (4,2%).
Besonders interessant scheint mir aber, dass in der vom 6. bis 12. Dezember erhobenen Umfrage – also, bevor das Wahlergebnis in Großbritannien feststand, und für viele der Befragten auch vor der Verkündigung des „Phase-eins-Deals“ zwischen den USA und China – bereits ein Fünftel der Teilnehmer an der Umfrage mit einem sogenannten Goldilocks-Szenario für die Weltwirtschaft rechneten: ein über dem Trend befindliches Wachstum, bei gleichzeitig niedriger, unter dem Trend liegender Inflation (65% der Befragten).
Der Euro erlebte gestern einen etwas volatileren Handelstag, blieb aber mit einem Band von rund 50 Stellen immer noch innerhalb der breiten Range vom vergangenen Freitag. Für diejenigen, die an die Prognosekraft von gleitenden Durchschnitten glauben, sei gesagt: Die europäische Handelssitzung endete mit 1,1150 zum ersten Mal seit Juni dieses Jahres ziemlich genau an der 200-Tage-Linie. Zuvor verbrachte die Gemeinschaftswährung die meiste Zeit unterhalb dieses Durchschnitts. Auch wenn ich persönlich einem etwaigen Durchstoßen dieser Durchschnittslinie von unten nach oben keinerlei Bedeutung beimesse, bin auch ich der Meinung, dass sich der Euro oberhalb von 1,1075/80 in stabilem Terrain bewegt.
Dies ist die letzte Ausgabe von Dollar am Morgen für das Jahr 2019. Wir melden uns am 8. Januar 2020 wieder zurück und wünschen Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein erfolgreiches neues Jahr!
Hinweise
Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.