Märkte

Blasenreiter

am
26. November 2010

In der Börsenszene kann man derzeit viele Menschen treffen, die angesichts der jüngsten, teils dramatischen Ereignisse an den Finanzmärkten – etwa an den Anleihe- und Rohstoffmärkten oder aber auch bei Gold und Silber – schnell auf die Bildung gefährlicher Blasen zu sprechen kommen. Manche Akteure sind aus der Finanzmarktkrise sogar geradezu als Meister im Erkennen von Blasen hervorgegangen.Wobei die erste Reaktion eigentlich immer auf den kategorischen Imperativ eines „Finger weg!“ vom gefährdeten Markt hinausläuft. In der Vergangenheit hatte das häufig zur Folge, dass sich Investoren viel zu früh aus den betroffenen Marktsegmenten zurückzogen. Wer etwa im Dezember 1996 auf den damaligen Fed-Chef Alan Greenspan gehört hatte, der eindringlichst vor dem irrationalen Überschwang gewarnt hatte, in welchen sich die Märkten hineingesteigert hätten, der musste im Anschluss daran ganze drei Jahre lang zusehen, wie jene erst recht zu einer Mega-Hausse ansetzten, bevor die Blase dann tatsächlich platzte.

„Blasen kann man richtig reiten“, sinnierte unlängst ein Profi-Bekannter von mir, um unvermittelt fortzufahren: „Und ich glaube, dass die meisten von uns mittlerweile clever genug sind, um rechtzeitig wieder abzusteigen.“ Ich dachte mir meinen Teil, denn ich kenne nicht viele, die damals, am Höhepunkt der Dotcom-Blase, wirklich den Ausstieg geschafft haben. So hatte etwa ein guter Freund von mir lediglich Glück gehabt, weil er Anfang März 2000 zufällig gerade sein neues Eigenheim bezahlen und dafür einen Großteil seiner Aktien verkaufen musste.

Auch bin ich skeptisch, ob heutzutage der Ausstieg aus einem „Blasenmarkt“ tatsächlich besser gelingen könnte. Und das nicht nur deshalb, weil ich glaube, dass die meisten Menschen sowieso viel zu overconfident sind, also ein zu großes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten setzen, was gerade in Phasen der Euphorie ihren Blick auf die Märkte vernebelt. Oder weil uns das Erfolgsgerede der anderen, erfolgreichen Mitstreiter an den Märkten am Ende einer Blasenphase allzu sehr beeindruckt und der sichtbare Beweis täglicher Erfolge selbst die Warner (die naturgemäß zu dieser Zeit von der Seitenlinie und ohne materielles Commitment zusehen) verstummen lässt.

Nein, es sind vor allem unsere eigenen Referenzpunkte, die uns immer wieder einen Streich spielen. Denn wer gerade an einem Jahres-oder Allzeithoch steht, dürfte unschlüssig sein, ob er die Party ausgerechnet dann verlassen möchte, wo es am schönsten ist. Sollte er jedoch mit ansehen müssen, wie sein Lieblingsinvestment urplötzlich und scheinbar aus dem Nichts an einem Tag 5 Prozent seines Wertes verliert, wird er sich alsbald beruhigen und glauben, dabei handele es sich nur um eine gesunde Korrektur. Mental aber sorgt der Bezugspunkt „Allzeithoch“ dafür, dass sich die meisten Akteure bereits von diesem Moment an in einer Verlustsituation wähnen. Und wie versucht man gemeinhin,  einen solchen relativen Verlust wieder wett zu machen? Richtig! Durch Aussitzen. Und deswegen dürften die meisten von uns es nicht einmal bemerken, wenn just in diesem Augenblick die Blase platzt. Und ehe wir uns versehen, hat sie uns bereits aus dem Sattel geworfen, und wir landen unsanft auf dem Boden der Tatsachen. Oder noch tiefer, dort, wo die Kurse in den Keller fallen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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