Märkte Wirtschaft

Fed-Orakel Ben Bernanke und Follower

am
18. Juni 2013

Es ist schon erstaunlich, was die jüngste Umfrage, die das Wall Street Journal unter Ökonomen angestellt hat, zu Tage gefördert hat. Demnach werden deren Analysen derzeit weder durch Inflationsbefürchtungen noch durch Sorgen über die Verschuldungssituation der USA beeinflusst. Vielmehr gaben 26 der 40 befragten Volkswirte an, dass ihrer Meinung nach die Märkte in erster Linie darauf achteten, ob die US-Notenbank ihre monatlichen Anleihekäufe von derzeit 85 Milliarden Dollar senken werde oder nicht. Und da mittlerweile selbst Zinstauben im Offenmarktausschuss der Fed (FOMC) zu der Überzeugung gelangt sein dürften, dass quantitative Lockerungsprogramme für die Konjunktur kaum mehr etwas bringen, geht es also nur noch um die Frage, wann und um wie viele Milliarden Dollar das Programm gekürzt werden wird.

Und so verwundert es auch nicht, wenn die Teilnehmer an den Finanzmärkten auf den Ausgang der FOMC-Sitzung am Mittwoch starren wie ein Rudel Kaninchen auf eine mächtige Schlange. Bereits während der vergangenen Wochen wurde jedes ökonomische Datum nicht daraufhin abgeklopft, welche Auswirkungen es auf Wachstum, Außenhandel oder den Arbeitsmarkt haben könnte. Vielmehr interessierte ausschließlich, welche Schlüsse die Fed daraus für ihre Politik ziehen könnte. Nichts scheint in den vergangenen Stunden die Akteure mehr beschäftigt zu haben als das, was Ben Bernanke wohl vom Stapel lassen würde. Deswegen sind derzeit Leute, die etwas über die Gedankenwindungen dieses Ausschusses wissen könnten, besonders gefragt. So wie Jon Hilsenrath, Journalist des Wall Street Journal, der von vielen fast schon als Sprachrohr der Fed wahrgenommen wird. Oder wie am vergangenen Montagabend Robin Harding von der Financial Times. Dieser hatte nämlich geschrieben, Bernanke werde wahrscheinlich signalisieren, dass die Notenbank kurz vor dem so genannten Tapering, der Reduktion der Anleihekäufe, stehe. Damit schien Harding außerdem die Gegenposition von Hilsenrath einzunehmen. Die Märkte reagierten prompt: Aktien-und Anleihekurse fielen. Und sie stiegen wieder, als sich bei näherem Hinsehen, also offenbar nachdem die Leser auch das Ende des Textes zur Kenntnis genommen hatten, herausstellte, dass der Fed-Chef einen solchen Schritt, wie gehabt, nur unter bestimmten Bedingungen wählen würde.

 

Schicksal hängt an Automatismen

Auch wenn wir erkenntnismäßig keinen Schritt weiter gekommen sind, wissen wir zumindest eines: Die Notenbank wird in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so weitermachen wie bisher. Damit dürfte auch ein maßvolles Tapering in den Finanzmärkten eingepreist sein. Jetzt bleibt eigentlich nur noch die Frage, was maßvoll ist. Eine Rückführung der Anleihekaufprogramme um 15 oder um 20 Milliarden US-Dollar? Was angemessen ist, bestimmt wahrscheinlich der Konsens der Ökonomen, die auch jeden Monat die Vorhersagen für den US Arbeitsmarkt, namentlich die so genannten Nonfarm Payrolls, erstellen. Damit wird die Zukunft leicht beherrschbar, könnte man meinen. Fällt die Tapering-Zahl niedriger als erwartet aus, heißt das, Anleihe- und Aktienkurse steigen. Und reduziert die Notenbank die Lockerungen stärker als erwartet, bedeutet dies:  Daumen runter für Aktien- und Anleihekurse. Ganz simpel also. Da braucht niemand mehr nachzudenken.

Eigentlich mache ich mir nicht einmal große Sorgen, wenn ein Gremium wie der Offenmarktausschuss der US-Notenbank – die eigentlich Lender of Last Resort und nicht Lenker oder Chef vom Dienst sein sollte – über das ökonomische Schicksal eines Landes und letztlich auch vieler anderer Staaten auf der Welt bestimmt. Auch wenn dieser Ausschuss mehrheitlich aus eher praxisfernen Akademikern besteht, die nicht einmal demokratisch gewählt worden sind. Viel mehr beunruhigt mich stattdessen, dass die globale Ökonomie von Finanzmärkten beeinflusst wird, die anscheinend keine andere Orientierung kennen als den Dualismus von „besser“ oder „schlechter als erwartet“.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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