Behavioral Living Marketing

Rabatt und Spiele

am
11. Januar 2012

Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern, als es beim Lebensmittelhändler um die Ecke, aber auch bei vielen größeren Märkten Rabattmarken für den Einkauf gab – „…und noch 3 Prozent Rabatt“ war ein gängiger Werbespruch, den ich nicht vergessen habe. Zu Hause durften wir Kinder manchmal die Märkchen anfeuchten und in ein kleines Heft kleben. Wenn alle Rechtecke in dem vorgedruckten Raster mit einer Marke bedeckt waren, was einem Einkauf in Höhe von 50 Mark entsprach, konnten wir zum Laden gehen, um das Heft gegen 1,50 DM Bares einzutauschen. Das ist Jahrzehnte her.

Heute gibt es stattdessen Pay-back-Karten, die einen ähnlichen Zweck erfüllen: erhöhte Kundenbindung. Aber auch das alte Rabattmarkensystem hat unlängst beim Penny-Markt um die Ecke ein Revival erlebt. Da gibt es für eine voll geklebte Rabattkarte immerhin zwei Gläser (für Sekt, Wein oder Wasser) im Wert von etwa 12 bis 15 Euro. Ein ordentliches Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass man dafür nur 50 Rabattmarken (pro Umsatz von fünf Euro bei den meisten Lebensmitteln gibt es jeweils eine Marke) benötigt. Das entspricht einem Rabattwert von mehr als 5 Prozent, vorausgesetzt, dass man solche Gläser überhaupt benötigt oder haben möchte.

Richtig clever arrangiert hat das Ganze ein Edeka-Markt in Norddeutschland, wo ich mit meiner Familie die Weihnachtsferien verbrachte. An stürmischen und regnerischen Abenden ist so ein gemeinsamer Spieleabend ja besonders gemütlich, und auch an Sylvester vergeht die Zeit bis Mitternacht mit „Trivial Pursuit“ oder „Risiko“ im Nu. Und nun bot das Rabattsystem im Edeka bereits für einen Umsatz von 125 Euro eines dieser beliebten  Gesellschaftsspiele an. Allerdings nur gegen eine Zuzahlung von 20 Euro.

So musste ich trotz aller Erkenntnisse der Behavioral-Economics mitansehen, wie sich die Commitment-Schlinge bei jedem Einkauf immer enger um meine Familie zuzog. Nicht nur die Kinder nahmen die Rabattmarken jedes Mal von neuem wie einen separaten Gewinn wahr. Nein, es wurde auch noch mehr als sonst eingekauft, um schneller ans Ziel zu gelangen. Und als das Kärtchen schließlich vollgeklebt war, hatte ich mich trotz aller Bedenken geschlagen zu geben, weil meine älteste Tochter herausfand, dass das Spiel normalerweise an die 40 Euro kosten würde, so dass die ganze Sammelei nicht umsonst gewesen sein sollte. Was will man da sagen? Gut 15 Prozent Rendite, gemessen am Umsatz? Das war ein schlagendes Argument. Auch wollte ich einer 13-jährigen nichts über „sunk cost“ (versunkene Kosten) erzählen oder im Urlaub als Spielverderber dastehen. Ganz zu schweigen vom hohen Nutzwert des Spieles, das unser aller Allgemeinbildung nicht schaden würde, wie meine Frau befand. Damit nicht genug. Es gab natürlich auch noch billigere Spiele. Das günstigste für knapp zehn Euro, also für die Hälfte von „Trivial Pursuit“, ein wahres Schnäppchen! Bezogen auf den erforderlichen Mindestumsatz von 125 Euro entsprach dies allerdings nur einer Rendite von 8 Prozent, mit der ich mich wiederum, trotz Bankenkrise, nicht zufrieden geben wollte. Wenn wir schon Behavioral-Dummheiten machen, dann richtig, beruhigte ich mich.

Am Ende des Urlaubs hatten wir schließlich 60 Euro in drei Spiele investiert, von denen wir normalerweise bestenfalls eines gekauft hätten. Und sie alle liegen seit dem siebten Tag, an dem erstmals wieder die Sonne schien, sauber aufeinander gestapelt hoch oben auf dem Bücherschrank.

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3 Kommentare
  1. Antworten

    Toni Schmal

    11. Januar 2012

    Bei Kaiser’s gab’s auch bis vor einiger Zeit – oder immer noch? – die Sammelherzen.

    Konnte man dann ab einer bestimmten Anzahl von Herzeleins z. B. Glasschüsseln, Messer oder ähnliches Zeugs „verbilligt“, also rabattiert, einkaufen.

    Nur, die Preise waren vorher so astronomisch hoch angesetzt, dass ich das Gefühl hatte, trotz Rabatt immer noch massiv draufzuzahlen.

    Aber vielen Leuten hat es gefallen. Die haben das Hirn ausgeschaltet und die vermeintlichen Schnäppchen geschnappt. Begreifen werde ich das wohl nie.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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