Dollar am Morgen Märkte

Wir verlieren sie

am
23. Oktober 2020

EUR USD (1,1800)             „Losing it“, der Betreff des Abend-Newsletters von Bloomberg, könnte den gestrigen Handelstag nicht treffender beschreiben. Tatsächlich scheinen wir sie zu verlieren, die Kontrolle über die Verbreitung der Covid-19-Infektionszahlen in Europa und auch hierzulande. Und unter diesem Motto verloren auch die deutschen Aktien, gemessen am DAX, anfangs vorübergehend 1,7 Prozent an Wert, um diesen Verlust später ganz schnell wieder aufzuholen. So gesehen kann man zumindest nicht von einem Kontrollverlust der Aktienmarktteilnehmer, aber von einem drohenden Kontrollverlust der Politiker sprechen.

 

Kontrollillusion bei den Börsianern?

Die Akteure an den Finanzmärkten scheinen noch einen klaren Kopf zu bewahren, vor allem wenn man bedenkt, dass der DAX ziemlich genau an seinem bisherigen Korrekturtief vom 25. September seinen Schwächeanfall beendete und von Nachfragern aufgefangen wurde. Wird daraus ein technischer „Doppelboden“, die Basis für einen neuerlichen Kursaufschwung? Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass solche klar geschnittenen Kursböden in der Nähe früherer Korrekturtiefs später relativ schnell wieder unterlaufen werden. Aber das Gefühl, am vermeintlich günstigsten Punkt eingekauft zu haben, hat schon bei manch einem Börsianer zur Kontrollillusion geführt.

 

Noch ein Verlust?

Für die spätere Erholung am gestrigen Handelstag gab es wie schon so häufig das immergleiche Argument, dass nun doch noch ein Stimulus-Deal in den USA vor dem Wahltermin in greifbare Nähe gerückt sei. Und wenn man den gestrigen Worten der Verhandlungsführerin der Demokraten, Nancy Pelosi, Vertrauen schenken will, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Verhandlungen mit Finanzminister Steven Mnuchin zu einem Kompromiss zwischen Demokraten und Republikanern gute Fortschritte machen würden. Oder trügt der Schein?

Zweifel diesbezüglich konnte man nämlich bekommen, als der ökonomische Chefberater des US-Präsidenten, von größeren Differenzen sprach, die wahrscheinlich nicht gelöst würden. Wenn derartiges schon von einem ökonomischen Dauer-Optimisten wie Larry Kudlow geäußert wird, muss man wohl davon ausgehen, dass die Verhandlungen gescheitert sind.  

Den Schein wahren

Obwohl nun kaum jemand erwartet, dass es noch zu einer Vereinbarung hinsichtlich eines Konjunkturpakets und einem dazugehörenden Gesetz vor dem Wahltag kommen wird, würde eine offizielle Absage dennoch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Abverkauf an den Aktienbörsen führen. Denn von der Hoffnung auf einen Deal lebte in den vergangenen Wochen bislang fast jede größere Aufwärtsbewegung. Während sich die europäischen Aktienmärkte gestern also erholten und die negativen Nachrichten zur Covid-19-Krise gut wegstecken, kann dies dagegen für den Euro nicht gesagt werden. Dieser blieb nämlich gegenüber dem US-Dollar trotz seines gerade erst begonnenen kurzfristigen Aufwärtstrends ausgesprochen reserviert und konnte seinen, wenn auch überschaubaren Rücksetzer bislang nicht wieder wettmachen. Dennoch bleibt die Gemeinschaftswährung in positivem Terrain, solange 1,1760 nicht unterlaufen wird.

 

Hinweis

Die genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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