Dollar am Morgen Märkte

Angst kennt keine Sommerpause

am
23. Juli 2019

EUR USD (1,1195)             Kommt jetzt das große Sommerloch? Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man gestern einigen Analysten und Kommentatoren gefolgt ist. Die sind nämlich vielerorts der Meinung, dass bei (US)-Aktien die meiste Luft nach oben draußen sei, und zwar, weil doch alles Wesentliche an positiven Überraschungen in den Kursen weitgehend enthalten sei. Da könne es doch nur nach unten gehen, war gestern mehrfach zu lesen. Dabei lautet eine Börsenweisheit doch eigentlich „Sell in May“. Aber das ist jetzt fast schon ein wenig zu sarkastisch. Dann standen im Juni die globalen Börsenampeln wieder zu Unrecht auf Rot, denn internationale Fondsmanager (vgl. BofA Merrill Lynch) waren so bearish wie zuletzt im Jahr 2009 gewesen. Und nun soll es endlich im Juli nach unten gehen. Vielleicht aber auch erst im August.

Ein echtes Sommerloch gibt es derzeit allerdings im Devisenhandel zu bestaunen, wo sich seit Monaten nicht allzu viel Volatiles abspielt. So hat sich der Euro gestern gegenüber dem Greenback bis zum Ende der New Yorker Handelssitzung gerade einmal in einer Bandbreite von 20 Stellen bewegt, noch weniger als am 4. Juli. Und das war ein US-Feiertag.

 

Viel Zündstoff

Wenn man indes die Kommentare von gestern liest, ist aber doch einiger Zündstoff gegeben. Da rechnet uns zum Beispiel die Nachrichtenagentur Bloomberg vor, dass sich der Nachfolger Theresa Mays, dessen Name heute verkündet wird, als Premierminister im britischen Unterhaus, wenn es dumm kommt, nur noch auf die Mehrheit von einer Stimme stützen kann. Wegen möglicher Überläufer aus dem Regierungslager in Richtung Opposition und wegen eines möglichen Verlustes zweier im Rahmen einer Nachwahl neu zu besetzenden Abgeordnetensitze. Hinzu kommen etwaige Rücktritte und ein eventuell anstehendes Enthebungsverfahren.

 

Zum Handeln gedrängt

Und so wurden gestern auch Stimmen laut, die EZB solle die Zinsen eher früher als später senken. Denn nicht nur die Gefahr eines harten Brexits droht. Vielmehr musss der EZB-Chef, der am Donnerstag seine drittletzte Sitzung leiten wird, Kommentatoren zufolge noch zwei weitere ökonomische Schocks in Betracht ziehen: ein europäischer Handelskrieg mit den USA und ein ökonomischer Abschwung in China. Gefühlt wenig wird indes in Wirtschaftsmedien über die Gefahren gesprochen, die von einem eskalierenden Iran-Konflikt ausgehen könnten.

Zwar gehen viele Ökonomen davon aus, dass der EZB-Rat bei der kommenden Sitzung stillhalten und nicht vor September mit geldpolitischen Entscheidungen aufwarten wird. Aber vielleicht gibt es noch einmal Hinweise, dass geldpolitische Lockerungen bald bevorstehen würden. EZB-Chef Mario Draghi hat es ja bereits bei der EZB-Konferenz im portugiesischen Sintra angekündigt, man werde alle zur Verfügung stehenden Instrumente, bis hin zu einer Wiederaufnahme der Anleihekäufe, einsetzen, sollte sich die Situation nicht verbessern.

Das Argument für schnelles Handeln der EZB ist ähnlich wie das, was wir bei einigen Mitgliedern des Offenmarktausschusses der US-Notenbank zuletzt zu hören bekommen haben: Präventive Maßnahmen seien besser, als später, sofern sich der ökonomische Ausblick verschlechtert, umso stärker reagieren zu müssen. Und so ist es kein Wunder, dass viele Analysten in Sachen Euro bearish eingestellt sind. Allein: Der Markt scheint diese Empfehlung nicht nachhaltig umsetzen zu wollen. Zwar bleibt die Unterseite für den Euro offen bis auf 1,1110/15, während Stabilität nach wie vor erst oberhalb von 1,1325/30 erreicht würde. Allerdings ist die Angst, die umgeht, zu stark, als dass man sich auf ein ruhiges Sommerloch einrichten könnte.

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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