Windfall-Gewinne
Normalerweise tendieren Menschen dazu, Gewinne eher zu früh als zu spät mitzunehmen, während sie im Gegenzug Verluste zu lange laufen lassen. Deswegen zeigen sie sich bei Kursgewinnen risikoavers, und wenn sie zuvor einen Verlust ausgesessen haben, stellen sie ihr Engagement normalerweise bei Erreichen des (wahrgenommenen) Einstandspreises glatt. Genau eine solche Phase dürften viele Börsianer hierzulande durchlebt haben, als sich der DAX im Oktober von seinen Septembertiefs von unter 9.400 Zählern eindrucksvoll erholte.
Gerade als es den Anschein hatte, als würde es mit dem DAX nicht länger mehr kraftvoll aufwärts gehen, überraschte EZB-Präsident Mario Draghi am vergangenen Donnerstag die Finanzmärkte, indem er weitere geldpolitische Maßnahmen in Aussicht stellte: Der DAX schoss geradezu nach oben, und Anleger, die nach der langen Durststrecke der Monate August und September dieses Jahres endlich wieder aufatmen konnten, mussten sich wie im siebten Himmel vorgekommen sein, nachdem es plötzlich Börsengewinne zu regnen begonnen hatte.
Bei solch unerwarteten Gewinnen handelt es sich um so genannte Windfall-Profits. Und weil jene außer der Reihe entstehen, besagen die Erkenntnisse der Behavioral Finance, dass man mit ihnen anders verfährt, als man es normalerweise täte. Mit anderen Worten: Der Durchschnittsbörsianer verhält sich in solchen Fällen nicht risikoavers, sondern tendiert eher zur Risikofreude und lässt Gewinne demzufolge tatsächlich laufen. Dies zeigt auch die jüngste Sentiment-Umfrage der Börse Frankfurt, die ich dieses Mal HIER kommentiert habe.
Selbst die heute endende Sitzung des Offenmarkt-Ausschusses der US-Notenbank (FOMC) konnte der Sorglosigkeit der mittelfristig orientierten Anleger keinen Abbruch tun. Natürlich erwartet kaum jemand derzeit Gegenwind für die Börse. Aber ob die US-Notenbank, wie von den Märkten bereits eingepreist, in diesem Jahr tatsächlich keine Zinserhöhung mehr vornimmt, ist keineswegs so sicher, wie dies vielerorts vermutet wird. Einerseits dürfte es der Fed zwar schwer fallen, nach der EZB-Sitzung Anfang Dezember, bei der Mario Draghi den Worten der vergangenen Woche Taten folgen lassen dürfte, ihrerseits eine Woche vor Weihnachten mit einem Zinsschritt in die entgegengesetzte Richtung aufzuwarten. Andererseits könnte sich jedoch angesichts möglicher neuer Höchststände im US-Aktienmarkt doch noch eine dadurch ermutigte Mehrheit im Offenmarktausschuss für eine Zinserhöhung zusammenfinden.
Marc
Es könnte gefährlich werden, dass die Mehrheit der Marktteilnehmer keine Gefahren sehen. Die Zukunft wird es zeigen