Dollar am Morgen Märkte

Welt ohne Risiken?

am
28. November 2019

EUR USD (1,0995)             Spürbar ist der Devisenhandel im Euro gegenüber dem Dollar seit Wochen immer ruhiger geworden. Offenbar hat das laufende Jahr das Zeug dazu, mit der niedrigsten Bandbreite seit Einführung der Gemeinschaftswährung beschlossen zu werden. Und noch nie hat es seit Einführung des Euro zum Dollar eine so niedrige implizite Volatilität für Währungsoptionen mit ein- und dreimonatiger Fälligkeit gegeben. Plötzlich wird vielen Beobachtern klar: Die Händler sind es scheinbar leid geworden, auf immer ähnlich lautende Nachrichten zu reagieren und sich mal gegen Brexit-Risiken, mal gegen irgendwelche positiven oder negativen Nachrichten vom US-chinesischen Handelskonflikt oder eine Wachstumsschwäche in der Eurozone abzusichern. Schon gar nicht vor Thanksgiving oder Weihnachten, wie man gestern lesen konnte.

 

Historisch niedrige Volatilität

Ein Kommentator schrieb gestern bereits davon, dass die niedrige Volatilität zur Norm werden könnte. Bei solchen Äußerungen klingeln bei mir stets die Alarmglocken, wenn über Jahre bestehende Wertmaßstäbe plötzlich geändert werden oder gar von einem Paradigmenwechsel die Rede ist. Nicht selten ist dann ein Extrempunkt im laufenden Trend erreicht. Das sagt einem zumindest die Intuition – oder die Erinnerung. Aber sich auf die Erinnerung zu verlassen ist gerade in Timing-Fragen nicht ganz unproblematisch. Natürlich ist es reizvoll, gegen den Trend eine Behauptung oder gar eine Position zu eröffnen. Bei den Positionen stellt sich schnell heraus, ob sie sinnvoll waren. Eine falsche Meinung gerät dagegen schnell in Vergessenheit, vor allen Dingen in der eigenen Erinnerung. Die Menschen sind – laut Dissonanztheorie – Meister im Verdrängen unpassender Inhalte und Informationen.

Man braucht sich nur die Crashpropheten der Aktienmärkte der vergangenen Jahre anzusehen. Von dieser Spezies gibt es viele, und sicher wird jemand von ihnen eines Tages sogar Recht bekommen, wenn das von ihm vorhergesagte Szenario wirklich eintritt. Das ist die beste Voraussetzung, um zum Finanzmarktguru zu werden. Oder man geht als Kontraindikator in die Geschichte der Finanzmärkte ein, weil man als Boulevardblatt das Pech hatte, gerade am Höhepunkt eines Aktientrends mit „Börsenfieber“ zu titeln. Farbiges wird (vgl. zum Verfügbarkeitsirrtum HIER) eben besonders leicht erinnert.

 

Informations-Overkill

Vielleicht sind die Händler gestern aber einfach nur einem Overkill an wichtigen ökonomischen Daten erlegen, wie sie etwa für die USA publiziert wurden. Da kam kurz vor Thanksgiving einiges zusammen. Sei es die erste Revision des US-Wirtschaftswachstums für das dritte Quartal, das mit einem Plus von 2,1 Prozent (annualisiert) stärker als ursprünglich geschätzt ausgefallen war. Die von der Fed vorzugsweise für die Beurteilung der Inflation hinzugezogene Kernrate des Index der privaten Konsumausgaben (PCE) enttäuschte mit +1,6 Prozent (ggü. Vorjahr) im Oktober geringfügig. Aber das Datum wird nicht zu einer Neubewertung der geldpolitischen Situation führen.

Die Aufzählung der restlichen, gestern publizierten Daten können wir uns eigentlich sparen, zumal ein Blick auf das viel beachtete Modell der Fed von Atlanta, GDPNow, zeigt: In Summa wird nun annualisiert ein Wachstum von 1,7 Prozent für das vierte Quartal – das bedeutet einen deutlichen Sprung von 1,3 Prozent gegenüber der vorherigen Berechnung vom 19. November – vorhergesagt. Zumindest was dieses Modell angeht, gibt es noch genügend Volatilität. Und die US-Ökonomie scheint gesünder, als wir alle dachten.

Trotz dieser Erkenntnis blieb der Euro auch gestern tendenziell nur leicht angeschlagen, wäre aber erst nach Überschreiten von 1,1060/65 wirklich aus dem Schneider. Unterdessen hat sich die Nachfragesituation an der Unterseite oberhalb von 1,0925 (modifiziert) sogar wieder etwas verbessert.

 

 

Hinweise

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 10 Stellen.

Wegen des Thanksgiving-Wochenendes in den USA gibt es den nächsten „Dollar am Morgen“ erst am kommenden Montag.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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