Unsterbliche Technische Analyse (II)
Unlängst habe ich mich über die Chartanalyse ausgelassen, ohne jedoch auf den wichtigsten Grund einzugehen, warum ich mich bereits vor vielen Jahren von dieser Art, Finanzmärkte analysieren oder sogar prognostizieren zu wollen, abgewandt habe. Dabei ging es mir nicht nur darum, dass Charts in dem Moment, wo alle auf sie schauen, zu einer so genannten self-fulfilling destruction (HIER) führen. Noch schwerer wog für mich, dass auch Chartisten einer selektiven Wahrnehmung unterliegen.
Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass viele technische Analysten kein besonders hohes Commitment eingehen, also keine so intensive Bindung an ihre Aussagen haben, weil sie in der Regel nicht ihr eigenes Geld auf ihre Vorhersagen einsetzen. Und das ist auch gut so, denn nur ohne eigenes finanzielles Engagement können sie die Märkte halbwegs unbefangen analysieren. Vor allem aber geraten sie nicht in Not, Verluste rechtfertigen zu müssen.
Commitment entsteht jedoch nicht nur durch materielle, sondern auch durch „psychische“ Kosten. Ein Gesichtsverlust, den man vor aller Augen wegen einer krassen Fehlprognose erleidet, kann genauso schmerzen wie finanzielle Einbußen. Man denke nur an einen Analysten, der in einer bekannten Tageszeitung oder einem Fachjournal im März dieses Jahres, als der DAX noch, grob gesagt, bei 12.000 Zählern stand, eine Mega-Hausse für die folgenden 12 Monate prognostiziert hatte. Wie würde er wohl reagieren, wenn er bereits Anfang Juli feststellen muss, dass das Börsenbarometer mehr als die Hälfte seines Jahresgewinns wieder abgegeben hat und nun auch noch ein bearishes Chartsignal selbst für Laien erkennbar ist? Was macht ein kurzfristig orientierter Händler, der nach einem zehnprozentigen Kursrückgang am Jahrestief ein solches Verkaufssignal erhält? Sie werden es geahnt haben: möglichst nicht verkaufen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie unangenehm es mir war, wenn mich in einer solchen Situation ein besonders sympathischer Kollege scheinheilig fragte, ob denn mein Kursziel noch gültig sei. Was tat ich in diesem Augenblick, um mich nicht so mies zu fühlen? Ich verharmloste die Situation, mimte den Optimisten. Statt die längst fällige Notbremse zu ziehen.
Und so ist es dem zuversichtlichen Analysten auch nicht zu verdenken, wenn er Zweifel an einem eindeutig negativen Chartmuster hegt. Tatsächlich ließe sich sogar nicht ganz unberechtigt einwenden, dass die Verkaufs-Formation eigentlich nicht lehrbuchmäßig verlaufen sei und doch irgendwie komisch ausgesehen hätte. Seltsam genug jedenfalls, um das Risiko eines Fehlsignals für beträchtlich zu halten. Langfristig sei doch sowieso noch nichts angebrannt, vergewissert man sich. Dann füge man noch ein paar andere technische Indikatoren („der Markt ist doch oversold!“) hinzu, und schon ist die Dissonanz beseitigt. Wie heißt es stets so schön? Charttechnik sei keine exakte Wissenschaft, sondern eine Kunst. Und diese hat stets eine stark subjektive Seite. Kunst sorgt also dafür, dass auch Chartisten aufgrund ihres Commitments ihre Bilder selektiv wahrnehmen und das, was sie in ihnen erkennen, ebenso selektiv weitergeben.
Slavisa
Ich habe die Vorteile der TA nie verstanden. 50 Prozent-Wahrscheinlichkeit bei jedem Setup oder zu gut Deutsch: Geldwechseln. Jede andere Behauptung ist in meinen Augen selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit. Just my 2 cents.
Thomas
Sehe ich leider nicht so,und Sie haben es früher auch gut verstanden,die Chartanalyse anzuwenden. Auch der große Kostolany,hat sich mit der Chartanalyse befasst.Auch wenn er es nie wirklich zugegeben hat.