Plötzlich gut und dennoch ungewiss
Manchmal bedarf es nur einer gewissen Mischung an Ereignissen, und von einem Moment zum anderen werden die Finanzmärkte völlig anders eingeschätzt. Vordergründig betrachtet war es möglicherweise die am vergangenen Freitag veröffentlichte Zahl der neu geschaffenen Stellen im US-Arbeitsmarkt, die weit besser als vermutet ausfiel und dem dortigen Aktienmarkt Flügel verliehen haben könnte. Nachdem im Vormonat dasselbe volatile Wirtschaftsdatum noch schlechter als erwartet ausgefallen war, gab es nun ein Überschießen auf der positiven Seite. Dass der breitgefasste S&P 500 nach mehr als einem Jahr sogar neue Allzeithochs markierte, dürfte dabei vielen Akteuren nicht in den Kram gepasst haben. Zumindest spricht das Wall Street Journal wieder einmal von einer Fortsetzung des seit sieben Jahren anhaltenden und meistgehassten Bullenmarkts. Dies scheint zutreffend zu sein, zumal man in den USA keineswegs eine Übertreibung erkennen kann. Es ist eher die Zurückhaltung vieler Akteure, die den neuen Haussesignalen nicht trauen möchten und die letztlich einer weiteren Aufwärtsbewegung des US-Aktienmarktes durch ihren verspäteten Einstieg entsprechenden Schwung verleihen könnten.
Warum dann noch „uncertainty“?
Aber auch hinsichtlich der schnellen Ablösung von Premierminister David Cameron durch Theresa May wird der Austritt Großbritanniens aus der EU, der nunmehr unausweichlich scheint, von vielen Kommentatoren mittlerweile wesentlich gelassener gesehen als noch vor einer Woche. Obwohl sich eigentlich an den ökonomischen Unsicherheiten nicht viel geändert hat. Aber vielleicht bringt es der Nobelpreisträger Paul Krugman auf den Punkt, wenn er in der New York Times einräumt, dass der Brexit Großbritannien langfristig tatsächlich etwas ärmer mache, aber kurzfristig nicht gleich zu einer Rezession führen muss. Ich tendiere jedoch zu einer anderen Interpretation: Mögliche, in der Zukunft liegende negative Ereignisse werden in der heutigen Wahrnehmung der Investoren diskontiert, d.h. nicht in ihrer vollen Stärke wahrgenommen. Und der Begriff „uncertainty“ im Zusammenhang mit dem Brexit wird deswegen von vielen Entscheidern derzeit so gerne verwendet, weil er als Rechtfertigung dient, Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben, und für mögliche spätere Negativfolgen der eigenen Entscheidungen eine gute Entschuldigung bietet.
Merkel fegt Krise vom Tisch
Und die italienische Bankenkrise? Angela Merkel ist sich sicher, dass die damit einhergehenden Probleme gelöst werden können. Jetzt hätte ich ja fast noch das wichtigste Argument für Aktienbullen vergessen. Die möglichen geldpolitischen Lockerungen der Zentralbanken Englands und Japans. Kein geringerer als der frühere Fed-Chef Ben Bernanke wies darauf hin, dass der Bank von Japan (BoJ) keineswegs die geldpolitische Munition ausgegangen sei. Das passt ja zu den Spekulationen, dass die BoJ unter tatkräftiger Mithilfe des Premiers Shinzo Abe womöglich zu einer noch radikaleren Form der monetären Lockerung, dem so genannten Helikopter-Geld, greifen wird. Sei es, dass die Zentralbank durch Anleihekäufe am Primärmarkt eine direkte Staatsfinanzierung betreibt oder die Regierung massive fiskalpolitische Stimulusprogramme auflegt.
Was Investoren Anleger hierzulande allerdings von dieser schönen neuen Welt halten, brachte die jüngste Sentiment-Erhebung der Börse Frankfurt zutage, die ich HIER kommentiert habe.