am
14. April 2016

Gerade einige Wochen ist es her, dass die Angst vor einem Crash erneut die wichtigen globalen Aktienbörsen befiel. Gerade während der ersten beiden Monate dieses Jahres hatten Crash-Propheten einmal mehr Hochkonjunktur. Weltuntergangsszenarien schienen sich mancherorts wieder ausgesprochener Beliebtheit zu erfreuen. Und wieder einmal galt, wie schon so oft seit Beginn der Finanzkrise – und dies besonders in den sozialen Medien:  Wer überhaupt wahrgenommen werden wollte, musste nur etwas extrem Negatives sagen oder Schauergeschichten erzählen und vor allem immer wieder in Andeutungen auf dunkle Mächte verweisen, die auch das Börsengeschehen angeblich direkt beeinflussen. Wer sich jedoch während der vergangenen sieben Jahre gegen eine weitere große Krise, gegen Hyperinflation oder den dritten Weltkrieg am Aktienmarkt versicherte, musste dies bislang oft teuer bezahlen. Aber es gibt immer noch nicht wenige, die auf den großen Zusammenbruch des Geldsystems warten.

Oder sind wir ganz einfach nur zu negativ eingestellt?

Eine Gruppe von Wissenschaftlern, darunter auch der Nobelpreisträger Robert Shiller, sind unlängst der Frage nachgegangen[1], wie Investoren mit der Wahrscheinlichkeit eines schweren Börsencrashs tatsächlich umgehen. Und Robert Shiller kann auf eine breite Datenbasis zurückgreifen, denn in seiner regelmäßigen Umfrage unter privaten und institutionellen Investoren will er von den Teilnehmern auch wissen, wie hoch sie in den kommenden sechs Monaten die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs des US-Aktienmarktes in der Größenordnung der  Crashes vom 19. Oktober 1987 oder dem 28. Oktober 1929 einschätzen.[2]

Obgleich solche Ereignisse extrem selten sind, stellte sich bei den Befragungen, die zwischen 1989 und 2015 durchgeführt wurden, heraus, dass die durchschnittliche subjektive Wahrscheinlichkeitseinschätzung für einen solchen eintägigen Kurssturz im Durchschnitt bei 10 Prozent lag. Auch wenn solche Einschätzungen im Verlauf der Zeit deutlich variieren, bleibt die Erkenntnis, dass Crash-Gefahren von den meisten Investoren viel zu hoch eingeschätzt werden. Und dazu tragen die Medien in einem nicht unerheblichen Maße bei.

 

Investoren werden einseitig beeinflusst

Als wichtigste Ursache für die zu hoch liegenden Schätzungen von Crash-Wahrscheinlichkeiten machten die Wissenschaftler den so genannten Verfügbarkeitsirrtum ausfindig, der darin besteht, dass dramatische und zeitnahe Ereignisse bei der Beurteilung von Sachverhalten zu starkes Gewicht beigemessen wird. Allein schon wenn Investoren auf die Vortagesveränderung des Aktienmarktes blicken, dürften deutliche Kursrückgänge deren Befürchtung, es könne ein Crash drohen, ebenfalls verstärken. Vermutlich wird es den Finanzmedien, aber auch vielen Kommentatoren bei der rückblickenden Bewertung eines Handelstages nicht viel anders gehen. Und das hat zur Folge, dass die Medien deutliche Kursveränderungen in ihrer Berichterstattung noch dramatischer darstellen, als sie tatsächlich waren, was wiederum den Verfügbarkeitsirrtum der Investoren noch vergrößert.

All dies sollte uns eigentlich nicht überraschen – durch die Arbeit der Wissenschaftler kann es nun aber als definitiv bestätigt gelten. Allerdings erbrachten diese außerdem den Nachweis, dass sich bei der medialen Berichterstattung zu Börsenereignissen eine deutliche Asymmetrie zeigt: Über negative Marktereignisse wird nicht nur häufiger, sondern auch länger als über positive Kursveränderungen berichtet.

Natürlich könnte man den Medien den alten Spruch zugutehalten, dass nur negative Nachrichten gute Nachrichten seien, weil sie sich besser verkaufen lassen. Auf jeden Fall haben sie den Effekt, dass diejenigen, die ihre Entscheidungen auf Aktienmarktkommentare gründen, subjektiv die Wahrscheinlichkeit von Crashes zu hoch einschätzen. Wenn man bedenkt, dass die meisten Investoren Crashes nicht mögen und sich nach Kursrückgängen oder volatilen Phasen nachweislich (kognitive Dissonanz) nur ungern mit den Verlusten bei ihren Investments konfrontieren, könnte man die ketzerische Frage stellen: Würden Anleger ohne Finanzmedien, Twitter, Facebook & Co. Crash-Gefahren sogar realistischer einschätzen?

 

 

[1] Goetzmann, William N., Kim, Dasol und Shiller, Robert J. (April 2016): Crash Beliefs from Investor Surveys, National Bureau of Economic Research (NBER),  Working Paper Series, Working Paper 22143, Cambridge, MA, USA

[2] Ein Crash ist demnach als ein eintägiger Kursrückgang in der Größenordnung von 22,6 Prozent (19 Oktober 1987) bzw. -12,8 Prozent am 28. Oktober 1929 definiert

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv