Unentschieden zwischen Angst und Risikofreude
EUR USD (1,1845) Gestern konnte man fast den Eindruck bekommen, die Finanzmärkte hätten schon mal für den Winterschlaf geübt. Dabei verhält es sich ganz und gar nicht so, dass es zurzeit keine marktbewegenden Themen gäbe. Ich spreche nicht von ökonomischen Daten, die momentan oftmals einfach nur durchgewunken werden. Und auch mit der Prognose des vor allem vor der Covid-19-Krise viel beachteten Modells der Fed von Atlanta, GDPNow, das gestern für das dritte Quartal dieses Jahres ein US-Wachstum von annualisiert 35,3 Prozent berechnete, kann wohl nicht nur ich allein nur wenig anfangen. Auch zuletzt wegen der immer noch stark steigenden Covid-19-Infektionen in den USA und Europa.
Bislang keine Angst vor einem Lockdown 2.0?
Denn hierzulande möchte derzeit eigentlich niemand über einen zweiten Lockdown nachdenken oder darüber öffentlich sprechen. Was momentan eher nach lokal begrenzten Aktionen aussieht (siehe Berchtesgaden), erinnert an einen Flickenteppich, der mit weiter stark ansteigenden Infektionszahlen in den kommenden Wochen vermutlich immer einheitlicher werden wird. Aus vielen kleinen Hotspots und öffentlichen Bereichen mit mehr oder weniger starken Einschränkungen wird am Ende womöglich dann doch noch ein bundesweiter Lockdown 2.0.
Und immer wieder sind die Kommentatoren erstaunt, dass sich dieser Trend nicht viel stärker in den Aktienkursen niederschlägt. Das hat allerdings nichts damit zu tun, dass die Akteure Covid-19 und damit verbunden alle gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen nicht ernst nehmen würden. Auch wenn wir in diesem Fall gerne über die Gewöhnung der Börsianer an die negativen Nachrichten sprechen, soll das keine Verharmlosung sein. Aber Gewöhnung heißt eben auch, sich mit der Zeit an neue Gegebenheiten anzupassen.
Scheinbar alles unter Kontrolle
Was die Börsenkurse angeht, hilft auch die Erinnerung an Februar und März dieses Jahres, als es den Märkten gelang, die erste Phase der Krise erstaunlich schnell zu meistern. Aber dieses beruhigende Gefühl, die schwierige Vergangenheit zumindest aus Sicht der Finanzmärkte unter Kontrolle bekommen zu haben, ist zwar menschlich nachvollziehbar (Kontrollbedürfnis), könnte sich dennoch als Illusion herausstellen. Zumal sich die schnelle Erholung vom Aktiencrash seit dem 21. März wohl in erster Linie der Hilfe der Notenbanken und ihren geldpolitischen Programmen verdankt. Und den fiskalpolitischen Hilfspaketen und der damit verbundenen Hoffnung auf mehr. Vor allem in den USA.
Während sich die Aktienmärkte also gestern ziemlich schwer damit taten, sich für Risikoaversion oder -freude zu entscheiden, setzte der Euro seine freundliche Tendenz fort und hat nun stabiles Terrain erreicht. Mit der Chance, oberhalb von 1,1860 einen neuen kurzfristigen Aufwärtstrend zu beginnen. Unter der Voraussetzung, dass 1,1740/45 gehalten werden kann.
Hinweis
Die genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.