Märkte Wirtschaft

Leerverkauf-Kurzschluss

am
19. August 2010

Man mag ja zu ungedeckten Leerverkäufen stehen wie man will. Aber als ich heute in der FTD den Beitrag mit der Überschrift „Leerverkaufsverbot beruhigt Märkte“ sah, wurde ich sofort skeptisch: Zum Beweis für den Erfolg des erst seit 10. Mai 2010 geltenden Schäuble-Verbots zieht man die seither ruhig verlaufenen Aktienmärkte heran. Abgesehen davon, dass eine Spanne von drei Monaten (die zu einem Gutteil auch noch die Sommerferien umfasst) nicht gerade repräsentativ für das Geschehen am Aktienmarkt sein kann, ist ein einziges Quartal an Beobachtungen auch per se zu kurz für derart wichtige Schlussfolgerungen. Vielleicht hat die seit Mai anhaltende Seitwärtsbewegung im DAX gar nichts mit dem Leerverkaufsverbot zu tun. Auch die während dieser Zeit gesunken Umsätze sind womöglich auf fehlendes Interesse der Anleger am Aktienmarkt im Allgemeinen zurückzuführen. Überdies würde ein träger Markt vermutlich auch dann keine Leerverkäufer anziehen, wenn es kein Verbot gegeben hätte. 

Ich würde ja noch mit mir reden lassen, wenn nicht derselbe Artikel einer Studie des IWF, die zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt, die Aussagekraft absprechen würde. Die Studie, die sich zwar nicht auf die gleiche Periode bezieht, aber immerhin einen etwas größeren Zeitraum von 15 Wochen vor und nach dem 19. September 2008 umfasst, also kurz nach der Lehman-Pleite, stellt fest, die Volatilität habe nach dem damals immerhin von vielen Ländern Europas und den USA erlassenen temporären Leerverkaufsverbot sogar deutlich zugenommen. Aber dies will der Autor nicht gelten lassen. Vielmehr heißt es lapidar, die wilden Kursausschläge der Zeit rund um die Lehman-Pleite seien vor allem „auf die ohnehin große Nervosität der Anleger zurückzuführen – und nicht etwa auf ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe.“

Mir selbst fällt übrigens adhoc ein (nicht zwingenderweise repräsentatives) Beispiel ein, wo ein Leerverkaufsverbot ebenfalls nicht gefruchtet hat. Etwa in Pakistan im Jahr 2008, als an den Börsen in Karatschi und anderswo die Steine flogen und die Fensterscheiben barsten, weil erboste Anleger ihren Unmut abreagieren mussten. In Karatschi ging es damals täglich nach unten. Auch, nachdem ein Leerverkaufsverbot verfügt wurde: Der KSE-100, machte zwar am Tag des Verbotes noch einen letzten großen  Jubelsprung – bevor es erneut, um rund 20 Prozent, nach unten ging.

Abgesehen davon gibt es eine lesenswerte, umfassende Studie über 111 Staaten, wonach kein Beleg dafür existiert, dass ein Verbot von Leerverkäufen die Volatilität oder die Wahrscheinlichkeit eines Crash beeinflusst*.

*A. Charoenrook and H. Daouk: A Study of Market-Wide Short-Selling Restrictions, Vanderbilt University and Cornell University Working Paper 2009

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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