Märkte

Ein verlorenes Jahr?

am
30. November 2016

senti_30112016Nun steht uns schon wieder ein sogenanntes Event-Risiko bevor. Die Rede ist vom italienischen Verfassungsreferendum, das am 4. Dezember stattfindet. Aber damit noch nicht genug. In Österreich wird die Präsidentenwahl wiederholt, es gibt US-Arbeitsmarkdaten (früher einmal ein Reißer an den Aktienmärkten), und in der kommenden Woche findet außerdem noch eine EZB-Sitzung statt – etwas, woran viele Akteure heute noch gar nicht denken mögen.

Zweifellos ist von all diesen Ereignissen das „Renzi-ferendum“, wie es einer meiner Leser ausdrückte, das wichtigste und könnte sogar dem Brexit-Votum oder der US-Präsidentenwahl den Rang ablaufen. Und damit stellt sich für viele Anleger und Investoren wieder einmal die Frage, ob und wie man sich vor einem für die Eurozone so wichtigen Tag im Aktienmarkt positionieren soll. Denn eines scheint sicher: Sagt Italien „Si“ zur Verfassungsreform, dann wäre ein wichtiger Unsicherheitsfaktor für die Märkte vom Tisch. Entscheidet sich die Mehrheit der Italiener indes für „No“, kann es für die europäischen Aktienmärkte nur einen Weg geben: nach unten.

 

Nur kurzfristig schwach?

„Natürlich nur kurzfristig“, sagen sich manche, denn scheinbar haben uns das Brexit-Votum und die Wahl Trumps zum US-Präsidenten gelehrt, dass solche Ereignisse eher Gelegenheit für einen günstigen Einstieg im Aktienmarkt bieten, „weil ja klar ist, dass anschließend alles nicht so schlimm kommen wird und die Aktienkurse danach bald wieder steigen werden“. Ob es dieses Mal auch so sein wird?

Ich fürchte: No.

Zumindest was den hiesigen Aktienmarkt angeht. So hatte der DAX beispielsweise im Gefolge des US-Wahltags vom 8. November gerade einmal 3 Prozent an Wert verloren, um sich anschließend wieder zu erholen. Am Tag nach dem Brexit-Votum konnten smarte Schnäppchenjäger immerhin davon profitieren, dass der DAX gegenüber dem Schlusskurs vor dem Votum temporär sogar um mehr als 10 Prozent abstürzte, um sich dann wie Phönix aus der Asche wieder zu erheben.

 

Keine Wiederholung

Ich glaube jedoch nicht, dass sich diese Geschichte nach dem Renzi-ferendum wiederholen wird. Etwa, weil im Falle eines Scheiterns und den damit möglicherweise verbundenen Irritationen für italienische Anleihen die Europäische Zentralbank den Finanzmärkten ihre rettende Hand reichen würde.

Vielmehr legen die derzeitigen Umfragen nahe, dass die Anhänger eines italienischen „No“ die Oberhand haben. Im Gegensatz zum Brexit-Votum und der US-Präsidentschaftswahl liegt das Überraschungsmoment für die Aktienmärkte also auf der anderen Seite: Während nämlich das Votum für einen Austritt Großbritanniens aus der EU oder eine Mehrheit der Stimmen für den Präsidentschaftskandidaten Trump im Vorfeld als Belastung für die Aktienmärkte gesehen wurden, würde im Gegensatz dazu ein überraschendes italienisches „Ja“ zur Verfassungsreform positiv für Anleihen und Aktien gesehen.

Übersetzt auf den kommenden Montag hieße das, dass die Aktienmärkte kurzfristig haussieren und sogar ihre breite Konsolidierung zwischen 10.185 und 10.825 Zählern nach einem „Ja“ an der Oberseite durchbrechen könnten. Allerdings wird es vor allen Dingen von der Positionierung der Investoren vor diesem Event-Risiko abhängen, ob es tatsächlich zu einer nachhaltigen Aufwärtsbewegung kommt. Aufschluss darüber könnte die heutige Stimmungserhebung der Börse Frankfurt zum Aktienmarkt geben, deren Ergebnis Sie inklusive meines Kommentars dazu HIER lesen können.

 

„False Break“ wahrscheinlich

Die von vielen erwartete Jahresschlussrallye des DAX hat vor allem deshalb noch nicht begonnen, weil sich langfristiges Kapital aus dem Ausland bisher nur zögerlich in Richtung Eurozone bewegt hat. Warum auch, wo doch das Gras in den USA derzeit grüner zu sein scheint als hier. Es gibt auch keinen triftigen Grund, dem US-Markt derzeit den Rücken zu kehren, wenn man an die positiven ökonomischen Impulse glaubt, die der künftige Präsident Donald Trump der Wirtschaft geben wird. Kapital, das nach einem „No“ der Italiener zur Verfassungsänderung wegen der damit verbundenen unsicheren politischen Lage und der ungewissen politischen Zukunft Matteo Renzis  erst recht nicht stützend zur Hilfe kommen wird.

Das schnelle Schnäppchen am Aktienmarkt wird dieses Mal wahrscheinlich ausfallen. Im besten Fall bleibt das Börsenbarometer innerhalb seiner breiten Konsolidierung zwischen 10.185 und 10.825 Zählern gefangen. Eine Zone, die bereits seit drei Monaten Bestand hat und daher für alle Marktteilnehmer gut sichtbar sein dürfte, weshalb viele der Akteure bei einem Verlassen derselben auf eine Fortsetzung des ersten Impulses setzen werden.

Insofern scheint das Risiko sehr hoch, dass es nach einem Ausbruch aus diesem Feld zu einer Fehlentwicklung („false break“) mit anschließender Gegenbewegung des DAX kommen wird. Viel spricht deshalb dafür, dass 2016 für den DAX als verlorenes Jahr enden wird.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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