Ein sonderbarer Vorweihnachtstag
Es war der Montag nach dem dritten Adventssonntag, und ich schlenderte durch die Frankfurter Innenstadt, ein wenig in vorweihnachtlicher Stimmung. Da traf ich völlig überraschend seit langer Zeit wieder einmal meinen guten Bekannten K., der nun schon seit einigen Jahren selbstständig mit Chartanalysen zu den Finanzmärkten sein täglich Brot verdient. Wer schon etwas häufiger meinen Blog besucht hat, dem dürfte nicht entgangen sein, dass ich für Chartmuster, Elliott-Wellen und Ähnliches nicht allzu viel übrig habe. Aber K. Ist schon ein Meister seines Faches und hat mich in der Vergangenheit immer wieder durch treffsichere Analysen verblüfft. Ihm gehe es gut, antwortete K. wie gewohnt auf mein Nachfragen.
„Du bist ja richtig gut im Geschäft, denn ich sehe deinen Namen auch auf mancher namhaften Plattform“ lobte ich K., der sich geschmeichelt zu fühlen schien. Aber er machte gleichzeitig ein Gesicht, als ob er sich selbst nicht über den Weg trauen würde. Nein, richtig reich würde er mit solchen Analysen nicht, räumte K. dann auch ein. „Aber die zahlen doch ein Honorar?“, fuhr ich fort. K. schwieg. Dann sagte er: „Nein, ich bekomme kein Geld für meine Arbeit, aber dafür habe ich mit der Plattform, für die nicht nur ich schreibe, eine große Reichweite und mache so auf mich aufmerksam.“
Wollen wir hoffen, dass wenigstens das große Publikum, für das K. seine Analysen schreibt, ihm bei Gelegenheit den einen oder anderen Euro zuschiebt… Nein, jetzt bin ich wieder zynisch.
Ein alter neuer Trend
Ich kam nach Hause, setzte mich an den PC, und las auf Streeteye.com einen Artikel über all die Videoblogger, die in den USA teilweise über einen sehr hohen Bekanntheitsgrad verfügen, zum Teil auf 100.000 und mehr Abonnenten als sogenannte Follower verweisen können und dennoch nicht genügend Geld verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Nur wenige von ihnen scheinen ein ansprechendes Einkommen zu erreichen und müssen dafür ihre Seele an YouTube verkaufen. Viele der berühmten Stars in der Szene der sozialen Medien, vor allem im mittleren Segment, verdienen offenbar so wenig Geld, dass sie neben ihrem virtuellen auch noch einen realen Job brauchen. Ich stelle mir das nicht gerade angenehm vor, wenn einem die eigenen Fans beim Kellnern begegnen[1].
Es verdienen wohl wieder einmal vor allem diejenigen, die bei dieser Goldgräberstimmung die Spaten und Schaufeln verkaufen.
Wenn meine jüngsten Erlebnisse repräsentativ für einen neuen Trend sein sollen, dann muss man sich wirklich Sorgen machen, ob die quantitativen Lockerungsmaßnahmen und negativen Einlagenzinsen der Europäischen Zentralbank tatsächlich zu mehr Inflation und Wachstum führen. Denn in einer Welt, in der für Leistung immer seltener angemessen gezahlt wird, kann weder mehr ausgegeben (Inflation) und schon gar nichts Werthaltiges (nachhaltiges Wachstum) geschaffen werden.
Zum Glück gibt es ja noch die Börsianer, die jetzt zum Jahresende noch einmal an richtig gute Zeiten glauben – meinen Kommentar zur heutigen Stimmungserhebung der Börse Frankfurt können Sie HIER nachlesen.
Ich möchte den sonderbaren Vorweihnachtstag indes zum Anlass nehmen, mich bei all denjenigen zu bedanken, die meine Arbeit auch in diesem Jahr angemessen honoriert haben.
[1] Dunn, Gabi: Get rich or die vlogging: The sad economics of internet fame http://fusion.net/story/244545/famous-and-broke-on-youtube-instagram-social-media/, gelesen am 14. Dezember 2015
Markus Schoor
unbedingt, hervorragende Arbeit! Wir kämpfen hier jede Woche darum, dass der Artikel auf boerse-Frankfurt.de überhaupt auffindbar ist…. gut, dass es dieses Blog gibt!
Grüsse Doc
Andreas Meyer
Hallo,
ich kann mich meinem Vorredner nur anschließen. Diesen Kommentar online bei Börse Frankfurt zu finden, war mir nun nach ewiger Suche nicht möglich. Erst dieser Blog hat es mir ermöglicht!!!! Dmenach bitte weiter machen! 🙂
Beste Grüße
Andreas Meyer
andreas.meyer@am-capital.de
Joachim Goldberg
Auf jeden Fall! 😉