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Das Schaf im Wolfspelz

am
12. August 2011

Jetzt geht es also wieder los mit den Leerverkaufsverboten von Aktien, mit denen Frankreich, Spanien, Italien, und Belgien den bösen Spekulanten anscheinend den Garaus machen wollen. Nein, es hat mich nicht aufgeregt, dass nur vier Staaten Europas sich zu diesem Schritt durchgerungen haben, und so gezeigt haben, wie uneins Europa ist. Sicherlich nicht, weil man anderswo in Europa die Spekulanten anders einschätzen mag. Vielmehr zeigt das 15-tägige Verbot, wie ohnmächtig man auf offizieller Seite versucht, den Kontrollverlust in den Griff zu bekommen.

Noch mehr regt mich aber auf, wenn wieder einmal von der „Stunde der Spekulanten“ gesprochen wird. Wer derartiges von sich gibt, hat nicht einmal zur Hälfte Recht. Sicherlich gibt es große Marktteilnehmer, die mit spekulativen Positionen versuchen, Gewinne aus Fehlbewertungen zu schlagen. Aber man muss sich fragen, wer etwa hinter diesen Hedgefonds steht, die auf der einen Seite hohe, überdurchschnittliche Gewinne erzielen sollen, aber umgehend – während die Aktienmärkte angeblich von den Spekulanten gerade heruntergeprügelt werden – gescholten werden, wenn einer von ihnen innerhalb einer Woche 10 Prozent seines Vermögens verliert.

Der Einbruch am Aktienmarkt während der vergangenen beiden Wochen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht irgendwelchen irrationalen Short-Spekulationen zuzuschreiben, sondern großen Marktteilnehmern, die sich offenbar wie viele andere Ökonomen von der globalen konjunkturellen Lage ein neues Bild gemacht haben. Die daraus resultierenden Abgaben sind sicherlich auf zu wenig Nachfrage gestoßen, was die Preise stark unter Druck geraten ließ. Das ist aber keine Irrationalität, sondern schlicht ein markttechnisches Problem. Am Ende werden die großen Trends doch von denen losgetreten, die zu lange schief lagen und erst handeln, wenn es schon zu spät ist.

In Krisenzeiten wird immer nach Buhmännern gesucht. Und das sind in der Regel diejenigen, die auf der anderen der Seite der Anleger stehen, die Gegenspieler der Käufer. Seltsamerweise haben die meisten immer noch nicht dazugelernt, wenn sie behaupten, es seien die unbeliebten Leerverkäufer, die an den Kursstürzen schuld sein sollen. Und das führt zu einer fast schon perversen Situation: Wer auf Abwärtsbewegungen setzt, weil er etwas für überbewertet hält, ist also ein Spekulant, weil er vom Verlust des braven Privatanlegers (den ich übrigens seit 2009 immer weniger zu Gesicht bekommen habe) vordergründig profitiert. Wer hingegen auf steigende Kurse setzt, den nennt man voller Respekt „Investor“. Ein Investor, der übrigens auch als Schaf im Wolfspelz bei einem Hedgefonds investiert sein kann, von dem er hohe Gewinne erwartet. Und sei es durch den Kauf einer Versicherung, falls das Haus des Nachbarn abbrennen sollte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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