Anhörung mit überzogenen Erwartungen
Viel ist während der vergangenen Tage über Ben Bernanke und den geldpolitischen Kurs der US-Notenbank diskutiert worden. Wird der Fed-Chef bei den Anhörungen vor Ausschüssen des Kongresses am heutigen Mittwoch und Morgen Hinweise darauf geben, ob die Anleihekäufe der Notenbank nun früher oder später zurückgefahren werden? Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn kurzfristig orientierte Händler die jüngeren US-Wirtschaftsdaten lediglich danach bewerten, ob sie das so genannte Tapering beschleunigen oder verzögern könnten. So kommt es mitunter zu paradoxen, wenn auch nicht ausgeprägten oder nachhaltigen Marktreaktionen, insofern gute Wirtschaftsdaten auf Anleihe- und Aktienkurse drücken, während eher negative Daten positiv gesehen werden, weil sie den Tapering-Prozess weiter in die Zukunft schieben könnten. Viele Händler halten sich gerne an diese so genannten Daumenregeln: besser als erwartet oder schlechter als erwartet? Tapering „ein“ oder „aus“? Das ist einfach und spart Zeit, weil man nicht lange drüber nachdenken muss, was man zu tun hat. Dabei hat die Fed doch immer wieder deutlich gemacht hat, was tatsächlich für sie wichtig ist. Und das sind ganz bestimmt nicht einzelne ökonomische Daten.
Diejenigen, die nicht so stark ins Tagesgeschäft verstrickt sind, mögen sich mehr Gedanken darüber machen, was den Fed-Chef derzeit bewegen könnte. So las ich etwa gestern mit Verwunderung in der Börsenzeitung, dass momentan eine tiefe Kluft in der Fed Ben Bernanke zu schaffen mache, was ich nur bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen konnte. Sicherlich offenbart das drei Wochen alte Protokoll der vergangenen Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) vordergründig eine starke Polarisierung ihrer Mitglieder. Dennoch wollte man mehrheitlich, so hatte ich den Eindruck, die Anleihekäufe eher früher als später zurückfahren, was – und dies dürfte durchaus kalkuliert gewesen sein – zu entsprechenden Marktreaktionen führen würde.
Überbewertete Polarisierung
Schnell einig schien man sich bei der Fed auch in der Reaktion darauf gewesen zu sein, dass sich die Finanzmärkte im Anschluss an die damalige FOMC-Sitzung wesentlich empfindlicher als erwartet gerierten. Mitglieder des Offenmarktausschusses, unter ihnen sogar auch Zins-Falken, traten an die Öffentlichkeit, um den Märkten zu signalisieren, sie hätten Ben Bernanke wohl nicht richtig interpretiert. Dieser selbst vermittelte in seiner Rede kurz nach Veröffentlichung des Notenbankprotokolls in der vergangenen Woche den Eindruck – obwohl er eigentlich gar nicht viel Neues gesagt hatte –, dass das Tapering wohl kommt, jedoch die Zinsen nicht erhöht werden. Ein Kommunikationsdesaster oder ein geniales Austarieren der Finanzmärkte?
Was kann man jetzt also von der immer noch gerne als „Humphrey Hawkins Testimony“ bezeichneten halbjährlichen Anhörung Bernankes vor dem Kongress erwarten? Schon jetzt bezeichnen einige den FED-Chef, dessen Amtszeit am 31. Januar 2014 enden wird, als [handlungsunfähige] „lame duck“. Vermutlich wird er seinen eingeschlagenen Kurs der vergangenen Tage fortsetzen. Weil es psychologisch gesehen am einfachsten ist. Außerdem würde ein zu kurz vor dem Amtswechsel eingeleitetes Tapering, womöglich verbunden mit einer öffentlich kommunizierten Strategie für die Zukunft („forward guidance“), die Bewegungsfreiheit von Bernankes Nachfolger(in) wesentlich stärker einschränken als eine Fortsetzung dieses bereits eingeschlagenen Kurses. Zwar hält dieser letztlich nur den Status quo aufrecht, doch dürfte er es gleichzeitig für den (die) künftige(n) Notenbankchef(in) leichter machen, ein neues Commitment einzugehen, ohne damit eine gerade erst gefällte Entscheidung des Vorgängers revidieren zu müssen.