Märkte Wirtschaft

Missglückte Kommunikation – ein verhaltensorientierter Rückblick

am
8. Dezember 2015

Die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank haben am vergangenen Donnerstag die Finanzmärkte mächtig durcheinandergewirbelt. Man kann schon von schockartigen Reaktionen sprechen, wenn etwa der Euro gegenüber dem US-Dollar die größte Handelsbandbreite (es handelte sich um mehr als 4,5 Prozent) seit dem Jahr 2009 produzierte, begleitet von einer Verkaufswelle in Aktien und Anleihen.

 

Auch wenn sich EZB-Präsident Mario Draghi tags darauf in New York bemühte, in seiner Rede das zerschlagene Porzellan wieder zu kitten, bleibt doch die Frage, was eigentlich zu dieser dramatischen Irritation der Finanzmärkte geführt hatte. Natürlich kann man argumentieren, die Erwartungen der Akteure seien enttäuscht worden, zumal bereits Mitte November aus so genannten „gutinformierten Kreisen“ durchgesickert war, dass womöglich der ohnehin schon negative Einlagenzinssatz um bis zu weitere 50 Basispunkte abgesenkt werden könnte. Aber auch hinsichtlich des quantitativen Lockerungsprogramms, das nicht nur zeitlich ausgedehnt, sondern dessen Volumen auch aufgestockt werden sollte, hat die EZB die Hoffnungen der Marktteilnehmer nicht erfüllt.

 

Relative Wahrnehmung vs. absolute Maßnahmen

Natürlich sind die Akteure an den Finanzmärkten selbst schuld, wenn sie sich nach den vollmundigen Vorankündigungen des EZB-Präsidenten in diversen Reden vor der EZB-Sitzung auch noch gegenseitig in ihren Erwartungen und Positionierungen aufputschen. Und so stieg in ihrer Fantasie das Ausmaß der EZB-Beschlüsse mit der Zeit immer höher; viele Händler rechneten außerdem damit, dass Mario Draghi, der schon bei anderen Gelegenheiten fast immer positiv „noch einen drauf gesetzt“ hatte, zusätzlich auch noch mit einem weihnachtlichen Überraschungsgeschenk aufwarten würde. Mit anderen Worten: Diese relative Wahrnehmung in Abhängigkeit zu einem völlig überhöhten Referenzpunkt musste fast schon zwangsläufig zu einer Enttäuschung führen.

 

Die Macht einer Minderheit?

In der Folge wurde dann auch darüber sinniert, ob der EZB-Präsident innerhalb des EZB-Rats noch über genügend Durchsetzungsvermögen verfügt oder ob er sich mit seinen Wünschen vielleicht sogar einer Minderheit von einigen Falken unter deutscher Führung hatte beugen müssen.

Ich glaube indes, dass die Diskrepanz zwischen den Erwartungen und dem tatsächlichen Handeln der EZB auf einer unterschiedlichen Wahrnehmung innerhalb des EZB-Rates und bei den Akteuren an den Finanzmärkten beruht. Während letztere offensichtlich die jüngsten Entscheidungen relativ bewerteten, schien man innerhalb des Rates davon auszugehen, dass die Marktteilnehmer gemäß alter ökonomischer Schule die gefällten Entscheidungen absolut, wie sie sind, betrachten würden. Und das hieße, dass sie alleine das, was erforderlich ist, um die Abwärtsrisiken und die Inflationserwartungen in den kommenden zwei Jahren abzufedern, ins Kalkül ziehen müssten. Wenn überdies EZB-Vize Vitor Constancio den Märkten kürzlich eine Überreaktion bescheinigte, wird deutlich, dass sich die Entscheider anscheinend nicht genügend mit der psychologischen Wirkung ihrer Maßnahmen auseinandergesetzt haben. Sonst hätte man durch eine geschicktere Wortwahl im Vorfeld der Dezember-Sitzung etwas Druck aus dem Kessel nehmen können.

 

 

Diskontierte Maßnahmen

Am Ende fällt noch nicht einmal so sehr ins Gewicht, dass der Einlagenzins nur um zehn Basispunkte gesenkt wurde. Auch ist eine Verlängerung des Anleihekaufprogramms um sechs Monate, die in Summa eine deutliche Anhebung der Volumina um gut ein Drittel von 1,08 auf 1,44 Billionen Euro bedeutet, nicht unbeträchtlich. Aber eine Ausdehnung des QE-Programms allein auf zeitlicher Ebene findet eben erst in der späteren Zukunft statt und wurde daher – nach den Erkenntnissen der Behavioral Finance – mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Einschätzung der Marktteilnehmer kräftig abgewertet, sprich diskontiert. Eine sofortige Anhebung der anzukaufenden Wertpapiervolumina hätte diese hingegen vermutlich ganz anders beeindruckt oder zumindest nicht so stark enttäuscht.

Immerhin dürften sich die Börsianer bald wieder beruhigen, denn auf der anderen Seite hat die EZB noch ein paar Pfeile im Köcher behalten, auf die man bei der kommenden Sitzung setzen kann. Interessanterweise ist die Frage, ob all diese Maßnahmen denn überhaupt zum Erfolg führen, während der Diskussion der vergangenen Tage fast vollständig in den Hintergrund geraten.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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