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Geiselnahme in der Kammer des Schreckens

am
16. September 2011

Vorgestern schrieb ich über Horrorszenarien, die derzeit vor allem im Internet die Runde machen. Und das in vielfältiger Form und oftmals nur kopiert. Doch viele Menschen tendieren nun einmal dazu, Kopien nicht als Kopie, sondern als Bestätigung einer anderen Meinung wahrzunehmen. Dies mag auch den gegenwärtigen Gold-Boom und die bizarre Situation erklären, dass sich manche Investoren fast schon eine Katastrophe herbeisehnen, nur damit sie mit ihrem Gold-Engagement richtig liegen. Wer aber ist der Gewinner, wenn es etwa zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen käme? Wer profitiert denn von solchen beängstigenden emotionalen Zuständen und von wirtschaftlicher Unsicherheit? Ganz zu schweigen von der möglichen Bedrohung für Leib und Leben in Zeiten derartiger Unruhe. Ist man ein Gewinner, wenn der Staat irgendwann Goldbesitz verbieten sollte?

Szenarien, seien sie nun positiv oder negativ, sind für die menschliche Psyche von großer Bedeutung: Sie verstärken das Selbstvertrauen in unsere vermeintliche Fähigkeit, die Zukunft vorhersagen zu können. Andererseits geben sie uns das Gefühl, eine unsichere Zukunft – auch wenn sie noch so schlecht sein sollte – kontrollieren zu können. Dummerweise ist dieses Vertrauen nicht immer angebracht. Man nehme nur einmal den Schweizer Franken, der neben Gold ebenfalls als sicherer Hafen für Geldanlagen gilt und zeitweise sogar eine bessere Performance hingelegt hatte als das gelbe Edelmetall. Bis die Schweizer Nationalbank (SNB) beschloss, der Aufwertung des Franken einen Riegel vorzuschieben, und verkündete, sie werde notfalls in unbegrenztem Umfang ausländische Devisen aufkaufen.

Doch dürfte diese Strategie nicht ohne negative Folgen für die Schweizer Wirtschaft und letztlich den Franken bleiben. Man denke nur an eine etwaige Hyperinflation samt deren Folgen. Am Ende hat die SNB damit die eigene Volkswirtschaft als Geisel genommen und den internationalen Investoren gedroht, sie würden die Geisel umbringen und damit auch den sicheren Hafen „Schweiz“ zerstören, wenn sie sich nicht zurückzögen. Ich frage mich, wie viele notorische Schwarzseher, die ja schon immer alles hatten kommen sehen, jemals auf ein derartiges Szenario gekommen wären.

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6 Kommentare
  1. Antworten

    Habnix

    16. September 2011

    Wirtschaft ist Krieg im Frieden erst wird der Konkurrent und der mögliche Konkurrent(Arbeitnehmer) bekämpft und falls das Ziel erreicht folgt der Satz „Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“

    M.f.G

    Habnix

  2. Antworten

    GeVestor

    16. September 2011

    Häufig werden aber Horrorszenarien und Gerüchte wahr wenn einfach nur genug Menschen daran glauben. Somit kann die Kopie sehr schnell zu einem Original werden. 😉

  3. Antworten

    Suchender

    16. September 2011

    Szenarien Ziele die der Mensch erreichen oder vermeiden möchte, nicht mehr.

    Der Einzelne entscheidet, ob er ein Ziel gut oder schlecht findet.
    Wenn ich auf der Suche nach erstrebenswerten Zielen bin, dann finde ich diese auch. Bin ich auf der Suche nach „Horroszenarien“, also zu vermeidende Ziele, dann finde ich auch diese.

    Was soll an der Suche oder an der Vorstellung von Szenarien also falsch sein? Szenarien erfüllen jeweil einen Zweck, auch wenn ein anderer dies nicht möchte.

    Wer nicht möchte, dass Menschen Szenarien machen aus welchen Grund auch immer, der hat mit dem Leben ein Problem!
    Jeder bestimmt für sich selbst, welches Szenario er sich ausdenkt oder welches er sucht.
    Es wäre ja wohl noch schöner, wenn ich für eine Geistesleistung, die einem anderen nicht gefällt, eine Schuld aufgeladen bekomme.

    Gedanken sich frei und das bleibt so!

    Jedes Szenario ist eine Leistung des Lebens. Jeder ist für die Auswirkungen selbst verantwortlich.

    Das Du (Autor) Dich gruselst oder Dich in einem oder einem anderen Szenario schlecht fühlst, dafür kann niemand etwas, außer Du selbst!

    „Geiselnahme in der Kammer des Schreckens“
    Was für ein „Bullshit“!
    Geh doch auf die Alm oder schmeiß alles weg und geh nach Kanada, dann ließt Du auch solche unliebsamen Szenarien nicht mehr.

  4. Antworten

    sunny

    16. September 2011

    Die Gedanken sind frei – und dass Sie hier auch veröffentlicht werden ist gut so. Das macht das ganze auch interessanter. „Das Gleiche lässt mich in Ruhe, aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht“ meinte auch Goethe.

    Für mich ist die wirt./soz./ökol. Lage – so wie ich Sie sehe, eher ein Fakt als ein Szenario– meine rosarote Brille habe ich bereits vor einiger Zeit verloren – die Tatsachen dieser Welt haben sie mir leider abgenommen. Schnniiifff

    Das heißt aber nicht, dass ich mir keine bessere Welt wünsche, ganz im Gegenteil –
    „Kreativität heißt, etwas zu schaffen und nicht zu zerstören .“ Ja, bedingt, denn damit etwas geschaffen werden kann, muss unweigerlich etwas anderes „zerstört“ werden, dass ist der ewige Kreis des Lebens.

    Wer aber am Status quo festhalten will, weil er davon profitiert, der hat auch kein Interesse an Veränderungen. Doch damit jemand im Kapitalismus profitieren kann, muss jemand anderes dafür bezahlen (mehr bezahlen als er dafür bekommt, versteht sich) – oder ist das etwa nicht so?

    Für mich ist klar, dass eine Gesellschaft Spannungen wie die existierenden bzw. geschaffenen (man sieht es ja auch täglich in den Nachrichten immer wieder aufs Neue) nicht lange aushält – dass ist für mich keine Schwarzmalerei sonder eher so etwas wie Logik.

    Ich habe den Eindruck, dass die (Finanz-) Wirtschaft und die Politik ihre (neoliberalen) Geister (inkl. der Folgen), die sie rief, nicht wieder los wird, das System läuft heiß, die Politik ist pausenlos mit dem Krisenmanagement beschäftigt (Scherben aufkehren) und man versucht – auch verbal, die Lage herunterzureden. Bis dann die nächste Blase platzt …denn die Spezies Spekulantius maximus bläst bereits wieder.

    Schon früher hat man den Überbringer schlechter Nachrichten nicht besonders sorgfältig behandelt und wer kennt nicht den Spruch: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.

    Wie eingangs bereits erwähnt: Es bleibe dabei, die Gedanken sind frei und jedem ist es selbst überlassen, was er denken will oder nicht. Hauptsache man denkt überhaupt noch 😉

    Fresh D. feat. Hermine G. – Wenn du denkst (by Coldmirror)
    http://www.youtube.com/watch?v=_w17UviAL58

    • Antworten

      Joachim Goldberg

      16. September 2011

      Sunny,
      vielen Dank für den schönen und ausführlichen Beitrag – das hat richtig gut getan!

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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