am
9. Juni 2011

Immer wieder werde ich darauf angesprochen, Finanzmärkte seien doch nicht prognostizierbar, weil sie angeblich effizient sind. Offenbar können viele Akteure und Analysten immer noch nicht von der Effizienzmarkthypothese Abschied nehmen, die zumindest aus Sicht der Behavioral Finance widerlegt sein sollte. Denn die meisten Menschen bewerten Verluste nun einmal zwei bis zweieinhalbmal so stark wie Gewinne in gleicher Höhe, was am Ende dazu führt, dass Verluste laufen gelassen und Gewinne zu früh realisiert werden (Dispositionseffekt). Wenn also zwei Akteure miteinander handeln, wird es (unabhängig davon, wohin die Kurse gehen) einen Gewinner und einen Verlierer geben, von denen ersterer naturgemäß eine stärkere Neigung als sein Kontrahent haben dürfte, den Markt wieder zu verlassen – ein Grund übrigens, warum Kurse an den Finanzmärkte häufig Momentum aufweisen.

Somit gibt es immer wieder (längere) Phasen an den Finanzmärkten, in denen sich die Verlierer nicht bewegen können. Weil sie entweder ihren wahrgenommenen Einstandspreis noch nicht gesehen oder, was schlimmer wäre, weil sie noch nicht kapituliert haben. Alleine mit dieser Erkenntnis ließe sich schon Einiges anfangen. Und – sofern die Einstandspreise der mit Verlust konfrontierten Akteure bekannt sind – könnte man auch Rückschlüsse auf zukünftiges Angebot und künftige Nachfrage in einem Markt ziehen. Damit ist natürlich nicht automatisch dessen völlige Vorhersehbarkeit gegeben, aber es dürfte manchem Akteur bereits helfen, wenn er zumindest die Wahrscheinlichkeit einer kommenden Entwicklung besser einschätzen kann.

Trotzdem sei es jedem unbenommen, weiterhin an das so genannte Goldene Ei, an ein Geheimwissen darüber, was die Märkte im Innersten zusammenhält, zu glauben. „Nein, so etwas gibt es nicht, dann wären wir alle steinreich“, bekam ich kürzlich wieder zu hören. Auch bei der Verneinung dieses Glaubens wird stets vergessen, dass wir, um durch unser Handeln in den Finanzmärkten wirklich reich zu werden, Kontrahenten benötigen. Kontrahenten, die entweder deswegen nicht infrage kommen, weil sie dasselbe wie wir machen wollen[1], denn sie wissen ja (wie wir), wohin sich der Markt als nächstes bewegen wird. Oder Kontrahenten, die mit uns gar nicht erst ins Geschäft kommen möchten, da sie davon ausgehen, dass wir das goldene Ei in der Tasche haben und sie daher am Ende die Verlierer sein müssen. Ohne Kontrahenten, ohne Handelspartner kann es aber keine Märkte geben.


[1] vgl. Blogs Mondsüchtig und Self-fulfilling Destruction

 

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv