Dollar am Morgen Märkte

„Was nun?“

am
8. Juli 2020

EUR USD (1,1275)             Gerade saß ich gestern Nachmittag auf meinem Ergometer, als in meinem Smartphone eine neue Meldung einging und ich auf der n-tv-App die Überschrift las: „Der DAX macht schlapp“. Tatsächlich entsprach diese Schlappe einem Verlust von gerade einmal 0,9 Prozent, bezogen auf den gestrigen Handelstag – mein Gott, ein bisschen Abgabedruck. Und ich dachte schon es handelte sich um einen größeren Kurseinbruch. Als ob uns die Börsianer nach dem vorgestrigen furiosen Handelstag in China sagen wollten: „Was nun?“.

 

Chinesische Erinnerungen an 2015

Eine nicht ganz unberechtigte Frage, wenn man bedenkt, dass beim Shanghai Composite 300 nach einer Rallye, die innerhalb von sechs Handelstagen immerhin einen Gewinn von zeitweise 15 Prozent zeitigte, zum Ende der gestrigen Sitzung nur noch 13 Prozent übrig blieben. Eine Gegenbewegung von gerade einmal 2 Prozent also! Aber eben genug, um die Warner auf den Plan zu rufen. Zumal Kommentatoren noch am Montag den jüngsten Börsenanstieg in China als „staatlich angeordnet“ bezeichnet hatten. Erinnerungen an die letzte geplatzte Spekulationsblase vom Sommer 2015 werden folgerichtig bereits bei kleinen Gegenbewegungen wach. Damals verlor besagter Aktienindex innerhalb von etwas mehr als einem halben Jahr temporär fast die Hälfte seines Wertes.

 

Keine Euphorie hierzulande

Viele Akteure an den Aktienmärkten, so vernahm ich gestern, treibe die Sorge um, dass sich die [angeblich] „viel zu gute Stimmung“ etlicher Börsianer plötzlich ins Gegenteil verkehren könnte. Aber nein, wir befinden uns hierzulande nicht in einer euphorischen Spekulationsblase! Dafür ist die Stimmung der von der Börse Frankfurt befragten institutionellen und privaten Akteure zumindest noch in der vergangenen Woche viel zu skeptisch gewesen. Tatsächlich betrachten die meisten von uns die Situation deswegen mit Unbehagen, weil wir es nicht nachvollziehen können, was genau sich an den Finanzmärkten zurzeit abspielt.

 

Zahlen mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum

Aber ist es deswegen sinnvoll, beispielsweise die Zahlen zur deutschen Industrieproduktion, die im Mai mit einem Plus von 7,8 Prozent (ggü. Vormonat) deutlich schlechter als von den Ökonomen erwartet ausgefallen waren, zurate zu ziehen? Das Einzige, was eigentlich sicher ist: Im April waren die Zahlen zur Industrieproduktion mit einem Minus von 17,5 Prozent so unterirdisch, dass die Mai-Zahlen fast schon zwangsläufig mit einem Plus zu versehen waren. Indes: Wen kann es tatsächlich interessieren, ob mit dem gestrigen Datum die Prognosen der Ökonomen verfehlt oder übertroffen wurden? Prognosen zu Daten, die längst Makulatur sind. Und Vorhersagen, von denen vermutlich niemand so genau sagen kann, wie sie zustande gekommen sind.

 

Daten, gut für die selektive Wahrnehmung

Oder soll man sich an der gestrigen Prognose der EU-Kommission festhalten, wonach die Wirtschaftskraft der Eurozone in diesem Jahr nicht um 7,7, sondern um 8,7 Prozent schrumpfen wird? Um es klar zu sagen: Es geht hier nicht nur um deutsche oder europäische Daten. Vielmehr gilt dasselbe auch für die Zahlen zur US-Wirtschaft. Die meisten von ihnen – abgesehen wahrscheinlich von den Erstanträgen auf Arbeitslosenhilfe – sind bei ihrer Publizierung angesichts der mittlerweile fortgeschrittenen Covid-19-Krise veraltet und daher gewissermaßen bedeutungslos. Tatsächlich sind diese ökonomischen Daten ohnehin nur dann für die Akteure interessant, wenn sie zu deren Engagements passen. Und es sind genau diese selektiv wahrgenommenen Daten und Szenarien, die letztlich bei den Kommentatoren landen. Und diese zeigten sich hierzulande zumindest gestern überwiegend skeptisch.

Und der Dollar? Der war gestern wieder etwas stärker gesucht, weswegen der Euro – etwa wegen einer größer gewordenen Risikoaversion? – leicht an Boden verlor. Aber das Handelsgeschehen spielte sich innerhalb der Bandbreite des Vortages ab, so dass auch heute keine neue (Trend)-Aussage getroffen werden kann. Außer dass der Euro oberhalb von 1,1230/35 stabil bleibt.

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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