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Eine Couch ins Kanzleramt

am
27. August 2014

Nun ist die Erkenntnis also auch bei Angela Merkel angekommen, dass die Regierung möglicherweise wirksamer handeln könnte, wenn sie sich der Erkenntnisse der Behavioral Economics bedient. Doch hat mich erstaunt, wie viele hämische Kommentare die jüngste Stellenausschreibung des Kanzleramts, in der gleich drei Referenten mit Kenntnissen zu Psychologie, Anthropologie und Verhaltensökonomik gesucht werden, provoziert hat. Da verkündet die „Bild“-Zeitung: „Merkel will Psycho-Trainer anheuern“, während stern.de besorgt fragt, ob die Kanzlerin wohl auf die Couch müsse; sogar von einem möglichen Burnout Merkels ist die Rede. In vielen Reaktionen klingt an, dass man die Aufstockung des Beraterstabs im Kanzleramt als Anzeichen für eine wachsende Ratlosigkeit der Regierenden deutet, so als suchten diese verzweifelt nach einem Ausweg aus der Alternativlosigkeit der eigenen Politik. Zahlreiche Bürger lassen zudem unverblümt durchblicken, dass sie von Psychologie nichts halten. So gaben in einer Umfrage von t-online etwa zwei Drittel von 1926 Teilnehmern an, dass sie es als unsinnig ansehen, wenn Psychologen den Politikern dabei helfen, neue Strategien für „wirksameres Regieren“ zu entwickeln.

 

„Anstupsen“ ist nicht neu

Aber geht es der Kanzlerin wirklich nur um eine neue PR-Strategie, um ihre Politik künftig besser an den Wähler verkaufen zu können? Oder sinnt sie vielleicht wirklich auf neue Wege in der Sozial- und Wirtschaftspolitik? Sie wäre dabei mitnichten die erste Regierungschefin, die sich der Erkenntnisse der Behavioral Finance bedient, denn der Grundstein einer verhaltensorientierten Politikberatung ist andernorts schon längst gelegt worden. So haben etwa der Ökonom Richard Thaler und der Jurist Cass Sunstein die so genannte Methode des „Anstupsens“ im Jahre 2008 in ihrem Buch „Nudge“ eindrucksvoll dargestellt. Eine Methode, die übrigens immer mehr Anhänger findet, auch innerhalb der Regierung Obamas, die seit Jahren von verhaltensorientierten Ökonomen beraten wird. Und auch der britische Premier David Cameron lässt sich bereits seit 2010 regelmäßig von seinem „Behavioral Insights Team“ Handlungsempfehlungen erteilen.

Unter „Nudge“ versteht man das geschickte Platzieren von Anreizen und Argumenten, um auf diese Weise dem Bürger einen Schubs in die richtige Richtung zu geben, damit er „bessere“ Entscheidungen trifft. Dadurch sollen unter anderem langfristig die Staatsausgaben gesenkt werden. Denn es zeigt sich immer wieder, dass viele Menschen, sobald sie auf sich selbst gestellt sind, Entscheidungen treffen, die man nicht gerade als optimal bezeichnen möchte. Oft sind sie sich dabei nicht über ihre Motive im Klaren, wodurch sie beeinflussbar werden. Mitunter verlieren sie im Dickicht der Statistiken und widersprüchlichen Argumente auch den Überblick.

 

Keine Tricks

Diese auch als „libertärer Paternalismus“ bezeichnete Methode ist jedoch bei vielen traditionellen Volkswirten verpönt, weil der Staat ihrer Meinung nach Wortsinne nur das Beste von seinen Bürgern möchte und diese angeblich durch psychologische Tricks dahingehend manipuliert, ihm das auch zu geben. Im Grunde versucht die Politik beim so genannten Anstupsen jedoch lediglich, eine Entscheidungssituation argumentativ so aufzubereiten, dass das Handeln der Menschen unmerklich in die richtigen Bahnen gelenkt wird, ohne dabei die Freiheit des Einzelnen wirklich anzutasten. Tatsächlich macht der libertäre Paternalismus den Entscheidern keinerlei Vorschriften.

Dennoch kann eine leicht veränderte Darstellung ein und desselben Sachverhalts einen enormen Einfluss auf das subjektive Empfinden der Bürger haben. So bewerten Menschen beispielsweise Verluste schwerer als Gewinne in gleicher Höhe. Es spielt also durchaus eine Rolle, ob man ein Glas als halb vor oder halb leer präsentiert.

Ob nun der libertäre Paternalismus ethisch einwandfrei ist oder nicht – darüber kann man durchaus diskutieren. Marketingstrategen gibt es ohnehin nicht erst seit gestern.

 

Psychologie nicht salonfähig?

Dass sich Frau Merkel künftig die Erkenntnisse der Entscheidungspsychologie zunutze machen möchte, bedeutet beileibe nicht, dass sie sich jetzt im „Guru-Modus“ befindet, wie ein Kommentator schrieb. Sie hat damit vielmehr endlich nachgeholt, was in anderen Ländern längst „state of the art“ ist. Solche Reaktionen belegen vor allem, dass man sich vielerorts unter Verhaltensökonomik noch immer nicht viel vorstellen kann. Ganz zu schweigen davon, dass die Psychologie hierzulande in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch nicht akzeptiert wird, obwohl Depression die häufigste Erkrankung unter Deutschen ist, an der Schätzungen zufolge 40 bis 50 Millionen Bundesbürger leiden sollen. Die Einlassungen des Regierungssprechers zu dem neuen Beraterstab seiner Chefin dürften dabei auch nur wenig zielführend gewesen sein, denn er soll während der Bundespressekonferenz die Aufgabe dieses Teams mit den vielsagenden Worten umschrieben haben: „Es geht um die Beobachtung menschlichen Verhaltens – da haben sich viele Forscher mit befasst.“ Um sofort die Bitte an die versammelten Journalisten anzufügen, sie möchten doch bitte keine weiteren Fragen zu diesem Thema stellen, weil es sie womöglich „langweilen oder überfordern“ könnte. Das zeigt vor allem eines: Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Vielleicht mit einem Stups in die richtige Richtung.

 

Beispiel aus der Praxis

Zum Glück muss ich bei den Stimmungserhebungen, die ich in jeder Woche in Zusammenarbeit mit der Börse Frankfurt durchführe, niemanden mehr von der Sinnhaftigkeit der Verhaltensökonomik überzeugen. Denn es handelt sich bei dieser Umfrage durchaus um eine aufschlussreiche und mitunter profitable praktische Anwendung dieser mich stets von neuem faszinierenden wissenschaftlichen Disziplin. Die jüngste Sentiment-Umfrage habe ich übrigens HIER kommentiert.

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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