Märkte Wirtschaft

Über Neinsager

am
9. Juni 2014

Bis heute bin ich mir nicht im Klaren darüber, wie spektakulär und neu das Ergebnis der jüngsten Sitzung der Europäischen Zentralbank am vergangenen Donnerstag tatsächlich war. Bereits die Reaktion des Euro-Wechselkurses gegenüber dem US-Dollar zeigt, dass zumindest die Devisenhändler sowohl eine Leitzinssenkung als auch negative Zinsen auf Bankeinlagen längst eingepreist hatten. Und auch die anderen von der Zentralbank beschlossenen Maßnahmen scheinen viele Akteure nicht von einem großen Wurf in Sachen Inflationsbekämpfung überzeugt zu haben. Ich selbst gehöre ebenfalls zu denen, die sich des Eindrucks nicht erwehren können, die EZB hinke den immer weiter sinkenden Inflationsraten derart hinterher, dass auch die jüngsten Maßnahmen kaum etwas ändern werden.

Dazu passt auch, was das ehemalige EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi am vergangenen Donnerstag in einem Interview mit dem TV-Sender CNBC geäußert hat. So kritisierte er, die EZB habe mit ihrer Entscheidung zu lange auf ein Mitglied des Rates warten müssen. Genauer gesagt habe es sich dabei um einen Deutschen gehandelt. Man muss nicht besonders viel Fantasie entwickeln, um sofort zu erkennen, dass damit Jens Weidmann gemeint war. Denn der Bundesbankpräsident ist in den vergangenen beiden Jahren immer wieder als Skeptiker und fast schon notorischer Neinsager zu möglichen EZB-Maßnahmen aufgefallen. Vor allen Dingen, wenn es um quantitative Lockerungen ging. Bini Smaghi machte im CNBC-Interview aber auch deutlich, man habe so lange auf ein Handeln der EZB warten müssen, weil diese für ihre Entscheidungen Einstimmigkeit anstrebe. Eine Verfahrensweise, die er für eine Zentralbank als nicht besonders effizient ansehe.

Jetzt könnte man natürlich ganz schnell wieder Jens Weidmann auch als Bremse bei den jüngsten EZB-Entscheidungen ausmachen, die der frühere Pimco-Vorstandsvorsitzende Mohamed El Erian als „Abfeuern einer Menge kleiner Kugeln“ bezeichnet hatte. Genauso würde es sich anbieten, dem Bundesbankpräsidenten auch noch vorzuwerfen, ein Anleihekaufprogramm verhindert zu haben. Gleichzeitig jedoch gilt Weidmann, vor allen Dingen bei deutschen Bürgern, als letzte Bastion gegen negative Zinsen und Gelddruckerei. Tatsächlich muss man sich die Frage stellen, ob quantitative Lockerungsprogramme, wie sie in den USA und Japan umgesetzt wurden, tatsächlich den gewünschten Erfolg gebracht haben. Auch steht der Gegenbeweis aus, was passiert wäre, wenn diese Lockerungsprogramme gar nicht erst ins Leben gerufen worden wären. Aber darum geht es mir heute nicht.

 

Nicht automatisch das schwächste Glied

Vielmehr stellt sich doch die Frage, ob Entscheidungen, bei denen ein hoher Konsens, möglichst Einstimmigkeit erreicht werden soll, tatsächlich sinnvoll sind. Zum einen machen sie ein wichtiges Entscheidungsgremium wie das der EZB träge, zum anderen kann Einstimmigkeit aber auch fragwürdige Schnellschüsse verhindern. Generell erwecken Konsensentscheidungen in der Öffentlichkeit den Eindruck eines langen Ringens um die Wahrheit und wirken daher besonders glaubwürdig.

Aber der Volksmund sagt auch, eine Kette sei nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Wobei der Neinsager Weidmann irrtümlicherweise automatisch zu diesem schwächsten Glied gemacht wird. Möglicherweise, weil er etwa, so der Indizienbefund, die Abwärtstendenz bei der Preisentwicklung in der Eurozone unterschätzt haben könnte.

Nein, der Bremser bei einstimmigen Entschlüssen kann eine Gruppe sogar stark machen, wenn er kluge, gute Entscheidungen trifft. Sind diese hingegen kurzsichtig, überängstlich oder unangemessen, kann ein Einzelner durch sein Blockieren auch das Versagen eines Gremiums bewirken. Das bedeutet für diesen einen Abweichler nicht nur ein hohes Maß an Verantwortung, sondern auch eine Machtfülle, die durchaus unangemessen sein kann.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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