Behavioral Ethics Gesellschaft Wirtschaft

Keine Spur von Kulturwandel

am
2. Juni 2015

Als ich in der vergangenen Woche in einem Vorbericht zum G7-Treffen im Handelsblatt las[1], dass ein neuartiger Verhaltenskodex für Banker diskutiert würde, der die Finanzmärkte krisensicherer machen soll, musste ich innerlich den Kopf schütteln. Natürlich ist es klar, dass gegenseitiges Vertrauen und ein „integres Verhalten“ der Marktteilnehmer die Grundlage für ein funktionierendes Finanzsystem bilden. Aber ich bin sicherlich nicht der Einzige, der Zweifel hegt, was die Integrität der Akteure an den Finanzmärkten betrifft. Insbesondere seit ständig der so genannte Kulturwandel in der Finanzbranche proklamiert wird. Ich habe mich vor zwei Jahren schon einmal zu diesem Thema HIER geäußert. Damals weckte die New Yorker Anwaltskanzlei Labaton Sucharow meine Aufmerksamkeit, die eine Umfrage in Auftrag gegeben hatte, bei der 250 Angestellte aus der Finanzbranche die Geschäftsmoral ihrer Wettbewerber beurteilen sollten. Das war fünf Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise.

Zufall oder Fügung, dass ausgerechnet an demselben Tag, als ich den Bericht über den Verhaltenskodex las, mir ein Freund eine brandneue Studie[2] als E-Mail zusandte, an der ausgerechnet wieder Labaton Sucharow beteiligt war? Im Vergleich zu 2012 wurden dieses Mal sogar 1200 Berufstätige aus der Finanzindustrie der USA und Großbritannien befragt. Mich interessierte natürlich vor allem die Frage, ob sich nach all den Diskussionen und Bemühungen um eine ethisch verbesserte Investment-Bankenwelt etwas zum Positiven verändert hatte. Zumal seitdem wichtige Reformen eingeleitet und milliardenschwere Strafen verhängt worden sind.

 

Sie würden es wieder tun

Die Ergebnisse sind schockierend. Trotz diverser Ethikseminare, die manches Kreditinstitut vor einigen Jahren seinen Angestellten verordnet hatte, um die schlimmsten Auswüchse der Gier zu bekämpfen. Demnach hält es immer noch rund die Hälfte der Befragten für wahrscheinlich, dass ihre Mitbewerber unethisch oder illegal handeln würden, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Mehr als ein Drittel derjenigen, die 500.000 US-Dollar oder mehr im Jahr verdienten, wurden nach dieser Umfrage Zeuge von Fehlverhalten am Arbeitsplatz oder hatten solches Wissen darüber aus erster Hand. 23 Prozent der Befragten – das sind fast doppelt so viele wie im Jahre 2012 – glauben, dass Kollegen im eigenen Unternehmen in unrechtmäßige oder unethische Aktivitäten verwickelt gewesen seien, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Auch waren 25 Prozent der Befragten bereit, für einen Betrag von 10 Millionen Dollar Insiderinformationen auszunutzen – vorausgesetzt, ihnen drohte im Falle einer Strafverfolgung keine Gefängnisstrafe. Im Gegensatz zu den Befragten aus den USA lag der vergleichbare Anteil der Kollegen aus Großbritannien sogar bei 32 Prozent der Interviewten.

Noch mehr gefällig?

27 Prozent der Bankmitarbeiter bestritten, dass die Finanzdienstleister im besten Interesse ihrer Kunden handeln würden. Dieser Prozentsatz steigt sogar auf 38 Prozent für diejenigen Banker, die 500.000 Dollar und mehr im Jahr verdienen. Anders ausgedrückt: Die Daten zeigen, dass zwischen dem Einkommensniveau und der Wahrscheinlichkeit, Zeuge von Fehlverhalten zu werden, ein Zusammenhang besteht.

Aber es kommt noch dicker. Einer von zehn Teilnehmern hat sogar (oder wurde dazu angehalten) eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben müssen, die ihm untersagt, unrechtmäßiges oder unethische Aktivitäten den Behörden zu melden. Bei einem Jahreseinkommen von 500.000 $ oder mehr steigt der Prozentsatz derjenigen, die nach eigenen Angaben ebenfalls den Maulkorberlass unterzeichnet haben, sogar auf 25 Prozent.

Wie hoch wäre der Prozentsatz derjenigen, die an die Wirksamkeit eines freiwilligen Verhaltenskodex glauben?

 

 

[1] online Ausgabe des Handelsblatts zum G7-Treffen: Neuer Verhaltenskodex für Banker soll Märkte sicherer machen, gelesen am 28.5.2015

[2] Tenbrunsel, A & Thomas, J. (Mai 2015): The Street, The Bull and The Crisis: A Survey of the US & UK Financial Services Industry, presented by The University of Notre Dame and Labaton Sucharow LLP

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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