Märkte Wirtschaft

„It stinks“ – Wenn ein Aktienindex zum Bruttoinlandsprodukt wird

am
21. Oktober 2014

Es ist schon bemerkenswert, wenn man in der US-Notenbank anlässlich eines zehnprozentigen Rückgangs der Aktienkurse (gemessen am S&P 500 Index) – manche sprechen von einer gesunden Korrektur – offenbar ins Grübeln gerät. Denn in der vergangenen Woche kamen die nicht stimmberechtigten Mitglieder des Offenmarktausschusses der Fed, John Williams und James Bullard, zumindest verbal den strauchelnden Aktienmärkten zu Hilfe. Obwohl die Mehrheit der Marktteilnehmer davon ausgeht, dass das quantitative Lockerungsprogramm QE3 mit der Oktober-Sitzung auf null zurückgefahren und damit beendet wird, sind durch die Statements der beiden Chefs der Notenbank von San Francisco und St. Louis zumindest temporär neue Fantasien geweckt worden. Nicht umsonst haben die Aktienbullen am vergangenen Freitag gejubelt, als ihnen wieder einmal vermittelt wurde: Wenn es runter geht, hilft die Fed und ansonsten geht’s nach oben.

So hat es den Anschein, als würde man bei der US-Notenbank darüber nachdenken, angesichts der Aktienschwäche den Zeitpunkt einer Zinswende lieber wieder in die fernere Zukunft zu verschieben, nachdem man vor einer guten Woche noch vielerorts eher für das erste Quartal 2015 eine Anhebung der US-Leitzinsen erwartet hatte. Mehr noch rechnet man damit, dass einer fortgesetzten Aktien-Baisse in den USA mit einem erneuten quantitativen Lockerungsprogramm oder zumindest einer Pause im laufenden QE3-Prozess zu Leibe gerückt wird. Das Ganze natürlich unter dem Vorwand, dass man sich Sorgen um die niedrige Inflation macht.

Die Situation am Aktienmarkt erinnert mich ein bisschen an den Februar dieses Jahres, als sich die Chancen für eine konjunkturelle Erholung in den USA innerhalb weniger Wochen deutlich zu verschlechtern schienen. Glücklicherweise gab es damals eine Begründung für die ungünstiger als erwartet ausgefallenen Wirtschaftsdaten: Die extremen Wetterbedingungen in den USA, die im Dezember 2013 vorherrschten, wurden seinerzeit für die schwächelnde Wirtschaft verantwortlich gemacht. Dieses Mal kann man den Kursrückgang am Aktienmarkt allerdings nicht irgendwelchen unkontrollierbaren externen Wetterkräften in die Schuhe schieben.

 

„It stinks“

Die nervöse Reaktion einiger Notenbanker vermittelt vielmehr den Eindruck, als sei man sich dort bewusst, dass große Teile der Vermögen der Superreichen, der so genannten „high beta rich“, an das Schicksal der Aktienmärkte gebunden sind. Und das in großem Maße mit Aktienkäufen auf Kredit. So verfehlte die so genannte NYSE Margin Debt im August das historische Februar-Hoch von 466 Mrd. nur noch um 3 Mrd. US-Dollar.

Dabei ist in jüngster Zeit immer wieder davon zu hören, dass die Entwicklung der Ungleichheit in den USA weiter zugenommen haben soll. In einem Blogbeitrag habe ich seinerzeit im Februar (HIER) bereits dargelegt, dass allein im Jahr 2012 die oberen fünf Prozent der Spitzenverdiener gemäß einer Studie[1] für 38 Prozent des heimischen Verbrauchs verantwortlich waren und man davon ausgehen kann, dass 90 Prozent der inflationsbereinigten Konsumausgaben von den oberen 20 Prozent der am Einkommen gemessenen Haushalte getätigt wurden. Sobald Highend­produkte nicht mehr nachgefragt werden, weil sich bei den Superreichen eine Korrektur im Aktienmarkt in deren Portfolien überproportional niederschlägt, bedarf es nicht mehr viel Fantasie, um zu verstehen, was der Journalist und Schriftsteller Robert Frank meint, wenn er den S&P 500 als das neue Bruttoinlandsprodukt bezeichnet. Immerhin: Im Februar dieses Jahres hat man seitens der US-Notenbank das Zurückfahren der Anleihekaufprogramme, das so genannte Tapering, wahrscheinlich aufgrund der Wetterausrede nicht gestoppt.

Dieses Mal liegt der Fall anders, insbesondere weil sich überdies die konjunkturelle Situation in der Eurozone deutlich verschlechtert hat und es nicht den Anschein hat, als besäße die EZB eine schnelle und wirkungsvolle Antwort darauf. Nicht umsonst hat Wolfgang Münchau in einer Kolumne der gestrigen Ausgabe der „Financial Times“ darauf hingewiesen, dass die eigentliche Gefahr für die Eurozone nicht primär in deren Verschuldung, sondern in einer wirtschaftlichen Stagnation liegt.

War das also alles nach unten am Aktienmarkt? Selbst wenn sich die Börsen dies-und jenseits des Atlantiks kurzfristig stabilisieren sollten – mich treibt eine Ahnung um, die ein Brite so beschreiben würde: „It stinks“.

 

 

[1] Cynamon, Barry Z. and Fazzari, Steven M. (Jan 23rd, 2014): Inequality, the Great Recession, and Slow Recovery, http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2205524

 

 

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3 Kommentare
  1. Antworten

    WOM

    21. Oktober 2014

    Die Erholung des Dax ist meiner Meinung nach ein „dead cat’s bounce“. Als Katzenliebhaber dreht sich mir der Magen rum, so etwas zu schreiben. Aber so isses leider….

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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