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Billig, billig, Uber alles …

am
16. Juni 2015

Als ich unlängst mit einem Freund zu den Händel-Festspielen nach Halle reisen wollte, habe ich wieder einmal mit der Deutschen Bahn AG Schiffbruch erlitten. Zum Glück nicht auf freier Strecke – dieses Mal war es ein Oberleitungsschaden, der uns zu einem unfreiwillig längeren Aufenthalt im Bahnhof Naumburg zwang. Und da die Wartezeit zwei Stunden betragen sollte, beschlossen wir kurzerhand, die Reise im Taxi fortzusetzen. Doch als ich erfuhr, dass der Kilometerpreis an diesem Ort 3,10 Euro betragen sollte – herzliche Grüße von Frau Nahles in Sachen Mindestlohn –, hätte ich fast die Fassung verloren. Gott sei Dank waren wir mittlerweile zu viert, so dass sich die Kosten einigermaßen in Grenzen hielten. Aber bei einer Rechnung von 135 Euro und einem Taxifahrer, der sich auch noch damit brüstete, dass die Naumburger Taxen die Kostenkönige von Deutschland seien, wäre ich fast ein Freund des Taxi-Schrecks Uber geworden. Uber, das ist jener Vermittler von Autofahrten über eine Smartphone-App, der wegen seiner aggressive Preis- und Expansionspolitik von der Taxi-Branche mit Argwohn betrachtet und als deren ärgste Bedrohung angesehen wird.

 

Uber reloaded

Ein paar Tage später wurde ich zufällig auf einen neuen Lieferservice für Speisen und Getränke aufmerksam und staunte nicht schlecht, weil mich dieses neue Gastronomiekonzept sofort an Uber erinnerte. Nein, es geht nicht etwa um einen x-beliebigen Pizza- oder Sushi-Lieferdienst, sondern um ein US-Unternehmen, das sich Munchery nennt. Dieses Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco sei weder ein Restaurant noch ein Lieferservice, so die Investmentfirma Sherpa Ventures, die hinter Munchery steht und diese neue Geschäftsidee selbst als „größtes Engagement seit Uber“ bezeichnet.

Als ich erfuhr[1], dass Munchery mit täglich wechselnder Speisekarte (an manchem Tag gut 50 Einzelpositionen von Vorspeise bis Nachtisch) anbietet, fragte ich mich, wie die das wohl machen würden. Denn ein normales Restaurant dürfte wohl kaum im Stande sein, eine vergleichbar große Vielfalt an Speisen anzubieten. Aber ein Restaurant, das seine Speisen ausschließlich seinen Kunden nach Hause liefert, kann sich riesige Küchen leisten, die mithilfe namhafter Köche ein ebenso großes Angebot bewältigen können.

 

Vom Negativzins zur Negativ-Marge

Bislang gibt es Munchery in Metropolen wie San Francisco, New York oder Los Angeles, und die Preise können sich sehen lassen. Und wenn dieser Trend auch hierzulande eines Tages greifen sollte, wird so mancher Gastwirt, der schon heute mit engen Margen kalkulieren muss, bei dieser Konkurrenz ins Schleudern geraten. Selbst wenn das gelieferte Essen von den Spitzenköchen nicht ganz erstklassig sein sollte.

Aber es geht noch besser.

Vor ein paar Tagen wurde ich nämlich von einem Verlagsunternehmen kontaktiert, man wolle meine Vorträge zusammen mit denen anderer namhafter Finanzmarkt-Persönlichkeiten im Rahmen einer Live-Übertragung bis zu 15.000 Zuhörern im Internet zugänglich machen. Allerdings könne ich kein Honorar für meine sich möglicherweise über mehrere Tage erstreckende Tätigkeit erwarten. Im Gegenteil: Ich sollte sogar noch Geld drauflegen, vernahm ich erstaunt. Denn durch die Tätigkeit des Verlages würde ich eine bislang unerreichte Bekanntheit bei meinen potentiellen Kunden erreichen. Toll: Jetzt gibt es neuerdings nach Negativzinsen auch noch Negativ-Honorare.

Nein, beschloss ich, dieses verlockende Angebot kann ich leider nicht wahrnehmen. Sonst falle ich ja als möglicher Nutzer von Uber und künftiger Kunde von Munchery aus, und das kann ich der hiesigen Ökonomie nicht antun.

 

[1] Vgl. http://uk.businessinsider.com: A company that d delivers chef-prepared meals is poised to become as popular as Uber, gelesen am 12.6.2015

 

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4 Kommentare
  1. Antworten

    Fritz Iv

    16. Juni 2015

    „Billiger als“ ist immer das Argument, dem sich der Kopf des Konsumenten am wenigsten widersetzen kann. Schon 50 Cent Preisunterschied können die Entscheidung beeinflussen. Preise sind Zahlen, Zahlen fordern fast schon aus sich heraus nach dem Vergleichen und deshalb waren Preisvergleichsportale eine der frühen „Killer-Applikationen“ im Web und so wurde das Web zur größten „Ramschbude“ aller Zeiten.
    Bei Munchery ist der Witz, dass möglicherweise der deutsche Küchenhersteller Rational AG mit seinen Selfcooking-Centern ein Nutznießer ist. Das wäre interessant herauszufinden. (Siehe http://www.rational-online.com/de/home/index.php )“60 Mal pro Minute kontrolliert das SelfCookingCenter 5 Senses die Temperatur, Feuchte, Garzeit und Luftgeschwindigkeit, damit ein Gericht am Ende so schmeckt und aussieht, wie der Koch es per Tastendruck vorgibt. Das Gerät erkennt sogar den Zustand eines Produktes. Selbstständig passt es die Bedingungen im Garraum optimal darauf an.“ Etc. Der Rest ist Marketing und Ausliefern, wobei das Ausliefern vermutlich billiger ist als ein großer Restaurantbetrieb mit Personal und teuren Räumlichkeiten.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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