Gesellschaft

Auf dem Weg zum Glück (2)

am
21. April 2015

Heute möchte ich Ihnen wie angekündigt den zweiten Teil der Trilogie zur Bedeutung von Aufmerksamkeit in der Glücksforschung, die mein früherer Mitstreiter, Herman Brodie vor längerer Zeit* erstellt hat, vorstellen. In diesem Beitrag geht es darum, wie Ablenkungen die Freude – und damit verbunden auch das Glücksgefühl – über die Erfüllung eines lang gehegten materiellen Wunsches mindern können.  Den ersten Teil der Trilogie finden Sie übrigens HIER.

 

 

Über die Bedeutung von Aufmerksamkeit II: Der Autokäufer

von Herman Brodie

 

Stellen Sie sich einen Auto-Liebhaber vor, der gerade all seine Ersparnisse in einen funkelnagelneuen Sportwagen seiner Träume gesteckt hat. Während er auf dem Parkplatz geradewegs auf das Objekt seiner Begierde zusteuert, bewundert er dessen schnittigen Linien, die Männlichkeit des markigen Kühlergrills, die flimmernden Radkästen, das Geschwindigkeitsversprechen, verkörpert durch die Leichtmetallfelgen und des tiefergelegten Chassis seines Wagens. Sein Puls beschleunigt sich und sein Hals wird trocken. Er öffnet die große Fahrertür und schwingt sich auf den ledernen Sportsitz. Die Präzisionsinstrumente leuchten auf dem Armaturenbrett und der Motor wird auf Knopfdruck angelassen. Er liebkost geradezu das Gaspedal mit der Spitze seines rechten Schuhs: Eine leichte Schwingung erfasst den ganzen Wagen, begleitet von einem kräftigen Aufheulen, scheinbar aus drei Richtungen gleichzeitig. „Ja“ schwärmt unser Enthusiast, „es ist jeden Cent wert“. Dann fährt er los.

Er lernt die Vorzüge einer schnell reagierenden Lenkung zu schätzen, als er plötzlich ein schlecht geparktes Auto umfahren muss. Er gelangt auf die Straße. Das Gaspedal ein weiteres Mal kurz angetippt – wow – aber er ist nicht schnell genug um die Ampel an der nächsten Kreuzung noch passieren zu können. Zumal vor ihm auch noch ein Fahrradfahrer in die Pedale tritt – „mit denen sollte man vorsichtig sein, weil man nie weiß, was diese Vögel als nächstes im Sinn haben“ nimmt er seine Geschwindigkeit vorsichtshalber einen Gang zurück.

Eine Frau in einem SUV hält auf der Spur neben unserem Autofreak. Sie redet eifrig auf ihr Handy ein. Auch er erinnert sich daran, dass er eigentlich noch einen Anruf zu erledigen hätte. Aber er wird damit warten bis er im Büro ist. Denn er ist nicht scharf darauf, seiner Frau wieder einmal erklären zu müssen, warum er sich heute Abend wegen „dringender geschäftlicher Termine“ wieder einmal verspäten würde. Aber wenn er auch in diesem Monat keine besseren Zahlen abliefert, würde ihm dieser widerliche Mensch namens Parker wohl seine nächste Beförderung streichen…

 

Permanente Ablenkung

 

Leider ist unsere Aufmerksamkeit kein treuer Begleiter, der über alles das wacht, was wir gerne hätten. Viel eher handelt es sich bei ihr um eine Art Schürzenjäger, der sich schnell davonschleicht, um etwa das Gespräch einer Gruppe kichernder Teenager zu belauschen. Unsere Aufmerksamkeit wird sich manchmal regelrecht in einen tiefen Ausschnitt herablassen oder sich um einen muskulösen Body herumwinden. Oder sie wird sich eine Zeit lang im Duft frischgebackener Schneckennudeln aalen. Tatsächlich lässt sich der größte Teil unserer Aufmerksamkeit nicht wirklich steuern. Sie findet Ablenkungen nützlich und wertvoll, aber ist hinsichtlich monetärer Kosten völlig indifferent. Dabei zieht ein einzelnes graues Haar viel leichter die Aufmerksamkeit auf sich, als der teure Haarschnitt, der es umgibt. Genauso erregen die herumliegenden Socken mehr Interesse als der Mahagoniboden, auf den dieselben achtlos hingeworfen wurden. Und der trockene Hautfleck fällt uns mehr auf als die teure Maniküre.

Es dauerte also nicht lange, bis die Aufmerksamkeit unseres Autokäufers von Dingen abgelenkt wurde, die neu, ungewohnt, seltsam, farbig, dramatisch oder sexy waren. Weg von Dingen übrigens, die für ihn einen höheren monetären Wert besaßen. Es war der Moment, von dem an das tolle neue Auto seinen Besitzer nicht weiter glücklich machen sollte.

 

 

* (erschien im August 2013 schon einmal unter blognition.de)

SCHLAGWÖRTER
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3 Kommentare
  1. Antworten

    Axel Walldorf

    21. April 2015

    Guter Beitrag!
    Leider kann man sich nur selten wirklich fallen lassen und sich nur auf eine einzige (positive) Sache fokussieren. Selbst beim Versuch dabei, wird man von der Anstrengung sich nicht ablenken zu lassen, abgelenkt.
    Klingt irgendwie paradox, scheint aber jedem so zu gehen.
    Viele Grüße,
    Axel

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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